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Veranstal­tungen

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Aufsätze/ Vorträge

aus dem Grenzbereich von Naturwissenschaft und Glauben

Teilhard de Chardin

geb. 1. Mai 1881
gest. 10. April 1955

Tagungsbericht 2024

SIND WIR NOCH HERR IM EIGENEN HAUS  –
Globale Herausforderung durch Künstliche Intelligenz (KI)

Unter diesem Thema fand im hessischen Kloster Salmünster vom 21. bis 23. Juni 2024 die 40.Tagung des AK Naturwissenschaft und Glaube statt. Etwa 30 Teilneh­mer hatten sich im Bildungshaus der Diözese Fulda zu einem derzeit äußerst aktuellen Thema ge­troffen. Das sei bei der Wahl des Themas vor zwei Jahren noch gar nicht absehbar gewe­sen, sagte AK-Leiter Gerd Weckwerth bei seiner Einführung am Freitagabend, dass u.a. mit Verabschiedung des EU AI-Act im Mai und der Papstrede auf dem G7-Gipfel in der Vorwoche auch das politische Interesse an KI gerade weltweit so im Fokus stehen könnte.

Er ging zunächst auf Überschneidungen zu früheren Themen ein. So habe vor allem die Tagung im Jahr 2013 Künstliches Bewusstsein – der (Alp-)Traum der Hirnsimula­tion“ zum Start des Human Brain Projects der EU schon ähnliche Fragen angespro­chen. Beim letztjährigen Abschluss des Projekts kam es zwar weder zu künst­lichem Be­wusstsein noch zu einer vollständigen Hirnsimulation, aber in vielen Teil­projek­ten wurden wertvolle Ansätze für neuronale Netze und andere KI-Methoden entwickelt.

Greifbar für eine breitere Öffentlichkeit wurde die KI aber vor allem durch den im No­vem­ber 2022 vom US-Unternehmen OpenAI kostenlos zugängig gemachten Chatbot „ChatGPT“ mit einem Sprachmodell, das an mehreren 100 Milliarden Texten trai­niert wurde und erstmals in der Lage war, umfassende Antworten zu frei formu­lierten Fra­gen von Nutzern zu generieren. Innerhalb der ersten 5 Tagen hatten sich über 1 Mil­lion Nutzer registriert. Bezeichnend für die neuen Möglichkeiten von KI ist u.a. das aktuel­le Problem von Schulen, auf die steigende Zahl von Schülern zu reagie­ren, die mit wenig Aufwand mittels ChatGPT ihre Hausaufga­ben machen. Wenn das zu leicht möglich ist, könnte das den angestrebten Lernerfolg dieser Schüler gefährden.

Nach Erklärung einiger Fachbegriffe und KI-Techniken, z.B. Deep Fakes (KI-Fälschungen), endete die Einführung mit einem Video, das an vielen Beispielen zeigte, wie KI sogar schon heute unser Leben bestimmt. Dass wir immer mehr die Kontrolle über unser eigenes Haus zu verlieren drohen, weist sicherlich Parallelen zur Ballade des Zauber­lehrlings von Goethe auf. Einen wassertragenden Besen mit Roboter­­kopf habe er daher zum Logo der Tagung gewählt. Mit KI schaffen wir uns teils ähnlich magisch wirkende Diener, die wir im Ernstfall vielleicht auch nicht mehr los werden.

KI – Überschätzte Technik?
Zum ersten Vortrag am Samstagmorgen konnte der Arbeitskreis Dr. Eva Brucher­seifer gewinnen, die seit 2017 Professorin für Embedded und intelligente Systeme an der Hochschule Darmstadt ist. Sie orientierte sich zur Einführung in den Begriff KI zu­nächst an der nachzubildenden Intelligenz des Menschen. Auch dessen Intel­li­genz lässt sich kaum exakt definieren und wird mit Begriffen wie Wissen, Lernen oder Autonomie verbunden. Auch wenn die zur KI genutzten Computer und Maschi­nen manches heute bereits deutlich besser als Menschen können (z.B. schneller rechnen) ist das als „starke KI“ bezeichnete Ziel, jede Aufgabe ähnlich gut oder gar besser als Men­schen zu lösen, aus ihrer Sicht noch in weiter Ferne.

Auch der Erfolg einer schwachen KI, mit beschränkter Funktionalität, war erst nach der Jahrtausendwende in größerem Umfang möglich. So war das Weltwissen von Expertensystemen noch nicht in einer für Computer greifbaren, digitalen Form ab­bildbar. Nach Brucherseifer be­durfte es zusätzlich einer sogenannten prädi­katenlo­gischen Codierung, die in einem Mammutprojekt (Cyc) 1984 begonnen wurde, aber letztlich wegen des Umfangs nicht weiter verfolgt wird. In vereinfachter Form nutzt man heute die Definitionen von Begriffen und Beziehungen als abstrakte Sche­mata (Ontolo­gien) und über Wissensgraphen (faktenbasierte Zuordnungen) für abge­grenzte Anwendungsgebiete. In dieser Weise codiert, erhält Wissen aus Expertensy­ste­men Normierung und Tran­sparenz sowie die Möglichkeit zu umfassender Vernetzung.

Um damit optimale Lösungen für ein gegebenes Problem zu finden, nutzt man geeig­nete Suchalgorithmen, wie man sie z.B. von Routenplanern oder Spielen wie Schach und Go kennt. Für komplexere Umfelder werden u.a. auch evolutionäre Algorithmen eingesetzt, die Mechanismen der Evolution nachahmen. Der Hauptschritt zu einer KI, die wie Menschen vorausschauende Entschei­dungen trifft, ohne explizit da­für pro­grammiert zu sein, ist sog. „Maschi­nelles Lernen“. Solche Systeme nutzen Musterer­kennung, um neue Daten nach bestimmten Modellen zu bewerten und zuzuordnen.

Wenn dabei Abweichungen von bisherigen Bilanzen auftreten, werden die Para­meter in dem zugrunde liegenden Modell aktualisiert. Dies kann durch gezielte Bei­spiele und unter Überwachung durch Menschen (sogenannte Supervisoren) gesche­hen oder durch Interaktion mit der Umgebung, was den verwendeten Algorithmus beeinflusst.

Überwachtes Lernen benutzt dazu schon gekennzeichnete Daten, um Vorhersagemo­delle zu trainieren, während unüberwachtes Lernen Muster in ungekenn­zeichne­ten Daten erkennt und verstärkendes Lernen durch Interaktion mit der Umgebung und Belohnungen lernt. Diese drei Methoden des maschinellen Lernens unterscheiden sich in ihren Ansätzen und Anwendungsbereichen und im erforderlichen Aufwand von Ressourcen zur Datenkennzeichnung.

Prinzipiell wird überwachtes Lernen hauptsächlich für Klassifikation und Regression, unüberwachtes Lernen für Clustering und Mustererkennung sowie verstärkendes Lernen für interaktive Problemlösungen und Optimierung eingesetzt. Ob ein Training unüberwacht erfolgreich möglich ist, hängt davon ab, wie gut die verwendeten Algorithmen (wie Regression, Clustering, Entscheidungsbäume) zur Art der Daten passen und wie weit das System bereits vortrainiert wurde.

Brucherseifer zeigte am Beispiel von Flugzeugturbinen, wie ein statistisches maschi­nel­les Lernen funktioniert. Dabei werden Sensordaten gezielt vorverarbeitet, um sie vergleichbarer und aussagekräftiger zu machen. Daraus werden dann auffällige Merk­male generiert und auf typische, aussagekräftige Aspekte reduziert. Diesen werden Fehlerzustände und soweit möglich Schadensmodelle zugeordnet, die dann zur Evaluation von Fehlerdiagnosen und Prognosen der Restlebensdauer nutzbar sind.

Zur Vermeidung langwieriger Suche nach geeigneten, aber oft nur begrenzt einsatzfä­higen Rechenmodellen, war ein Weg der KI-Forschung, Systeme zu erarbei­ten, die von der Funktionsweise menschlicher Gehirne inspiriert sind, sogenannte „Neuronale Netze“.  Sie bestehen aus mehreren miteinander verbundenen Knoten (Neuronen), die in der Regel in Schichten organisiert werden. Ein Knoten kann durch die Summe von Eingaben aktiviert werden, die in einem Lernprozess meist angepasst gewichtet einen nötigen Schwellwert erreichen. Lernen kann ein solches System auch durch Aufbauen und Löschen von Verbindungen bzw. ganzen Knoten.

Meist ist die Architektur eines Netzwerks aber schon in Hinblick auf die angestrebte Aufgabe konstruiert z.B. Unterteilung in sich wiederholend erneuernde und langzeitig unveränderliche Eingabereiche. Als Beispiel führte Brucherseifer die Erkennung von Verkehrszeichen in wechselnden Umgebungen an. Dazu werden Tausende von Bildern in ein bereits vortrainiertes Modell eingegeben, um durch Rückkopplungen aus richtig oder falsch erkannten Schildern eine immer höhere Zuverlässigkeit zu erzielen.

Der häufiger von Zwischenfragen begleitete Vortrag kam gegen Ende zur sogenannten „Generativen künstlichen Intelligenz“. Damit sind Systeme gemeint, die die Fähigkeit besitzen, neue Inhalte z.B. Bilder, Texte, Musik zu generieren, und zwar sowohl aus Vorgaben von KI-Systemen (z.B. neuronale Netze) als auch im Dialog mit Menschen, basierend auf einem Sprachmodell, wie das bereits oben angesprochene ChatGPT.

Typische Aufgabe ist es, in Daten unterschiedlicher Herkunft zunächst einen Code zu entschlüsseln (Encoder) und in einem zweiten Schritt nach einer Bearbeitung oder Reaktion die Daten wieder zu Codieren wie die Eingaben (Decoder). Für ChatGPT geht es darum, die Semantik einer Eingabe in einen Kontext zu stellen. Dabei kann in viel­fältigerweise eine konzeptionelle Form von Auf­merksamkeit auf einzelne Wörter an­gewandt werden. Unter zahlreichen Varianten wird dann meist nach den wahrschein­­lichsten Möglichkeiten eines nächsten Wortes gesucht. In neues­ten Versi­onen von ChatGPT sind immer mehr Beispiele guter Texte (~1 TB) in das System eingestellt worden und zum Training bei der Erzeugung von Antworten über menschliches Feed­back bewertet bzw. angepasst worden. Das gilt vor allem für die Aktualisierung der Texte, die in den Gratis-Versionen von Chat GPT noch auf dem Stand von 2021 sind.

Am Schluss des Vortrags versuchte Frau Brucherseifer an wenigen Beispielen die Be­deutung dieser neuen KI-Techniken für die Weiterentwicklung unserer Gesellschaft einzuordnen. Sie erwähnte vor allem die Integration von KI in physische Roboter, meist um diese dadurch autonomer und vielfältiger Aufgaben lösen zu lassen, wie z.B. autonomes Fahren auf Straßen oder Steuerung von Drohnen.

Hauptproblem bleibt dabei die Abbildung bzw. Anpassung der digitalen Welt an die physische Welt und das oft noch über Sensorik in Echtzeit-Kopplung. Um das vor allem sicher zu machen, muss der Mensch als Risikofaktor berücksichtigt werden, dessen Fehlbedienung, falsche Erwartungen, geringes Kritikbewusstsein und Bequemlichkeit zu ungewollten Interaktionen mit KI-Systemen führen kann, speziell wenn Transparenz und Nachvollziehbarkeit für den Menschen abnehmen.

Als weitere Gefahren erwähnte Brucherseifer Diskriminierungen und Ungerechtigkeit von KI-Systemen durch unreflektiertes Training und durch Einsatz von KI-Systemen in ursprünglich nicht geplanten Bereichen und Umfängen. Daher könne man die Verab­schiedung des ersten KI-Gesetzes der EU im Vormonat nur begrüßen, bei der KI-Sy­steme nach Risikoklassen von unbedenklich bis völlig inakzeptabel bewertet werden.

Neben einer Arbeitsgruppe für weitere Nachfragen zum Referat von Frau Bruchersei­fer wurden anschließend noch zwei aktuelle Gesprächsgruppen angeboten. Die einen befassten sich anhand des verteilten Textes der Rede von Papst Franziskus auf dem G7-Gipfel mit den darin angesprochen Gefahren durch KI-Technik und den damit ver­bundenen Appellen an die dort versammelten Staatsoberhäupter. Ein zweite Gruppe beschäftigte sich mit einem Text in der aktuellen Ausgabe von Bild der Wissenschaft zu sogenannten Deep Fakes; das sind perfekte, mit Hilfe von KI erstellte Fälschungen.

KI-Systeme haben kein „Ich“ 

Am Nachmittag knüpfte Tobias Müller, Inhaber der Professur für Religionsphilosophie und Fundamentaltheologie an der Universität Rostock, in seinem Vortrag nahtlos an die Ausführungen von Eva Brucherseifer an. Zunächst beschrieb er nochmals aus seiner Sicht die Grundlagen, die Funktionsweise und die Einsatzfelder von KI.

Dabei stellte er fest, dass diese Technologie in rasantem Tempo und zunehmend fast alle gesellschaftlichen Bereiche durchdringt und auch die menschliche Lebenswelt längst erfasst hat. Er wies darauf hin, dass die neuen technischen Systeme wie etwa ChatGPT bereits täuschend ähnlich menschliche kognitive Funktionen simulieren.

Dies wirft neben ethisch hoch brisanten Fragen die anthropologische Frage auf, ob KI-Systeme als menschenähnliche Wesen verstanden werden können und umgekehrt, ob wir Menschen womöglich selbst nichts anderes als biologisch verkörperte Rechen­ma­schinen sind, was die erneute Kränkung unseres Selbstverständnisses bedeuten würde.

Müller näherte sich diesen Fragen mit den Mitteln der sogenannten „Philoso­phie des Geistes“. Dies ist eine im anglo-amerikanischen Raum entstandene Denkrich­tung, die darauf zielt, möglichst genau zu beschreiben, was Begriffe wie Den­ken, Ler­nen, Intelligenz und Bewusstsein eigentlich bedeuten. Ergebnis seiner Analyse ist, dass alle diese Begriffe auf KI-Systeme allenfalls metaphorisch angewendet werden können.

Tatsächlich spricht nichts dafür, dass ein KI-System Bewusstsein hat, lernt, etwas em­pfindet oder gar denkt. Warum ist das so? Weil ein Rechner wie ChatGPT kein Verhält­nis zu sich selbst hat und keine Ich-Perspektive entwickelt. Er weiß nicht, dass er ein Rechner ist. Es fehlt ihm die reflexive Distanz zu sich selbst und zu seiner Umwelt. Was er tut, ist lediglich, aus vorgegebenem und eingespeistem Datenmaterial anhand eines programmierten Algorithmus Wahrscheinlichkeiten für ein bestimmtes Muster, z.B. für einen Text oder ein Bild, zu errechnen und dieses Muster innerhalb von oft nur Milli­sekunden „auszuwerfen“. So funktioniert z.B. die Textproduktion bei ChatGPT.

Daher ist es auch gänzlich unmöglich, zu einem Computer eine quasi-personale Beziehung aufzubauen. Natürlich können sich mit Maschinen auch Emotionen verbinden (z.B. mit Autos), aber die Vorstellung einer empathischen Beziehung zu einem Rechner und die Erwartung, dass dieser darauf empathisch reagiert, ist absurd.

Gleichwohl können „Pflegeroboter“ zumindest als Assistenzsysteme in Zukunft eine wichtige Rolle spielen. Für den Einsatz von KI-Systemen braucht es dringend eine chancen- und risikobewusste gesellschaftliche und auch rechtliche Rahmung, wie sie von der EU bereits in einem ersten Anlauf vorgenommen wurde. ­­———-

Die Tagung schloss am Sonntag mit einem Gottesdienst zum Thema „Intelligentes Verantwortungsbewusstsein“, in dem Pfarrer Bernd Weckwerth nochmals an den Appell des Papstes aus der Vorwoche erinnerte, Entscheidungen über Leben und Tod von Menschen nicht an KI-Systeme abzugeben.

Die Jubiläumstagung „40 Jahre AK“ wird vom 27.-29. Juni 2025 im Kloster Salmünster stattfinden.

Einladung zur 40.Tagung des AK Naturwissenschaft und Glaube

„SIND WIR NOCH HERR IM EIGENEN HAUS? –
Globale Herausforderung durch künstliche Intelligenz (KI)

Wochenendtagung im Kloster Salmünster vom 21.-23.Juni 2024

Auch wenn Freud lehrte, dass wir Menschen nie Herr im eigenen Haus waren, ist der Kontrollverlust das, was Menschen mit am meisten fürchten (z.B. bei Krankheiten wie Demenz). Angst macht aktuell vielen Menschen diese vermeintliche Herrschaft über sich durch eine neue Konkurrenz zu verlieren, die wir uns gerade selbst als angenehme Diener ins Haus, in Autos, in Fabriken oder Pflegeheime holen wollen. Sie scheinen frei nach Goethes Zauberlehrling zunächst Wünsche gut, ja sogar immer perfekter zu erfüllen, weil sie lernfähig sind und vieles sogar schneller und passender als Menschen können.

Doch wehe es läuft etwas falsch und es kommen Menschen durch KI zu Schaden, selbst wenn im Mittel diese KI deutlich weniger Schäden produziert. Wer trägt die Verantwortung, wenn die ursprüngliche Programmierung sich autonom verändert hat? Was ist mit erst langfristig erkennbaren Nebenwirkungen und was mit unvorhersehbaren Ausfällen oder gar feindlichen Übernahmen? Wer profitiert von dieser neuen Intelligenz? Das Militär? Überwachungsstaaten? Nur Reiche? Und werden Machtstrukturen dadurch weiter zementiert?

Oder sind wir typisch deutsche Bedenkenträger, die fantastische neue Möglichkeiten für unser Wohlergehen und einen damit möglichen Aufstieg unserer Wirtschaft wieder einmal verschlafen? Leitet die KI vielleicht sogar eine neue Entwicklungsphase des Menschen ein, auf die in Zukunft keiner mehr verzichten will? Wie realistisch die derzeitige Diskussion die Chancen und Risiken der KI für bestimmte Anwendungen widerspiegelt und dazu nötige Hintergrundinformationen wollen wir mit ExpertInnen auf dieser AK-Tagung erörtern.

Freitag, 21. Juni 2024
18 Uhr:   Ankunft und Abendessen
20 Uhr:  Einführung mit Filmdokumentationen zu aktuellen Fragen der KI-Nutzung

Samstag, 22. Juni 2024
9 Uhr:     Prof. Dr. Eva Brucherseifer (Hochschule Darmstadt):
­                „Künstliche Intelligenz – überschätzte Technik?“
11 Uhr     Arbeitsgruppen zum Umgang mit einzelnen KI-Anwendungen
15 Uhr     Prof. Dr. Tobias Müller (Univ. Rostock):
­                „KI – Fortschritt oder Gefährdung des menschlichen Selbstverständnisses?“

Sonntag, 23. Juni 2024
  9 Uhr:   Künstliche Intelligenz versus natürliche Intelligenz (Nachhall und Reflexion)
11 Uhr:    Hl. Messe mit Pfr. B. Weckwerth (“Intelligentes Verantwortungsbewusstsein“)

Bericht: Nahtoderfahrung und Evolution

Gemeinsame Tagung des AK Naturwissenschaft und Glaube und der ND-Region Münster Hamburg Osnabrück

Unter dem Thema „Nahtoderfahrungen und Evolution“ trafen sich vom 24. – 26. 2. 2023 etwa 40 Teilnehmer in der Akademie Franz Hitze Haus in Münster zu einer informativen wie auch emotional bewegenden Wochenendtagung.

Das galt insbesondere für die Berichte von 4 Bundesgeschwistern, die am Freitagabend von ihren ganz persönlichen Nahtoderlebnissen (NTE) erzählten. Obwohl diese zum Teil schon Jahrzehnte zurücklagen, schilderten sie das Erlebnis so farbig und ergreifend, als wäre es erst gestern gewesen. Dabei bekannten sie meist sehr offen, wie prägend das Erlebnis für ihren weiteren Lebenslauf war. Das bestätigten auch die Berichte von 2 Personen mittleren Alters aus Bayern, die in einem aktuellen Video der katholischen Medienzentrale ihre NTE vorstellten. Übereinstimmend erklärten alle Betroffenen, dass sie durch das Erlebnis früher bestehende Ängste vor dem Tod verloren hätten und heute mit großer Gewissheit an ein Weiterleben in einer gewandelten Form glauben.

Am Samstagmorgen stellte Dr. Gerd Weckwerth, einer der Leiter des AK, eine von ihm entwickelte Theorie zum Ursprung der bei weltweit ~5% aller Menschen auftretenden NTE vor. Nach dieser Theorie handele es sich um ein ganz natürliches, im Rahmen der Evolution des Menschen entstandenes Phänomen. Die durch zunehmendes Selbstbewusstsein verstärkte Wahrnehmung des Todes habe beim Urmenschen in lebensgefährlichen Situationen zu einer oft lähmenden Todesangst geführt. Diesem vor allem im Überlebenskampf mit weniger selbstbewussten Lebewesen nachteiligen Effekt hätten nach Weckwerths Theorie die in Todesnähe erscheinenden Bilder entgegengewirkt, die sich als Übergang und Weiterleben in eine jenseitige Welt deuten ließen. Durch evolutive Selektion hätte sich immer realistischer und vielfältiger die Deutung, dass der Tod nicht das Ende einer Person ist, verstärkt. Dazu kam, dass solche Bilder erst durch körperliche Notlagen wie Sauerstoffunterversorgung ausgelöst und daher stets in Verbindung mit dem Tod gebracht wurden.

NTE könnte daher als eine Art „Todesangstüberwindungsprogramm“ angesehen werden, das die Vorstellung eines Lebens nach dem Tod benutzt und zugleich gefördert hat. Einen Beleg dafür sieht Weckwerth in Grabbeigaben, die als älteste Zeugnisse menschlicher Religiosität gelten. Heutige NTE sind seines Erachtens aber nur noch ein Relikt aus der Zeit der Entstehung des Menschen, eine Art „Fingerspur der Hominisation“. Sie passe gut zu einem modernen Schöpfungsglauben, nach dem „Gott die Welt so gemacht hat, dass sie sich macht“ (Teilhard de Chardin).  Seine Theorie biete im Gegensatz zu esoterischen Deutungen zumindest einen Ansatz für mögliche gemeinsame Untersuchungen von Religions- und Evolutionswissenschaft.

Ein zweiter Vortrag am Samstagnachmittag von Bundesbruder Prof. em. Dr. Ulrich Lüke befasste sich mit Möglichkeiten der Deutung von „out-of-body-Erfahrungen“, die bei NTE häufig auftreten. Einerseits gebe es die grob materialistische Vorstellung, dass der Geist das Produkt des Gehirns sei, ähnlich wie der Urin das Produkt der Nieren. Das andere Extrem sei die Auffassung, dass die von Gott geschaffene, unsterbliche Geist-Seele, sich des menschlichen Leibs in seiner Erdenzeit nur bediene, bis dahin, dass der Körper nur eine Erscheinungsform des Geistes sei. Die Frage nach geistigen Phänomenen wie Bewusstsein oder Freiheit und auch die Frage nach der Möglichkeit real erlebter NTE werde heute in der Wissenschaft meist mit Hinweis auf die Äquivalenz von Geist und Gehirn beantwortet. Das alles sei nur das „Feuern von Neuronen“. Derartige Positionen würden aber dem komplexen Phänomen Mensch nicht gerecht.

Selbstverständlich sei eine vielfältige Determination des Menschen durch seinen Körper und durch seine neurophysiologische Konstitution anzunehmen, wie z.B. beim sog. Libet-Experiment. Neben diesem objektiven Blick von außen (Es-Perspektive), könne sich der Mensch aber aus der Perspek­tive der ersten Person (Ich-Perspektive), dennoch frei sehen. Diese sei nicht 1:1 in die Sprache der Neurophysiologie übersetzbar, sondern deren Vokabular reiche nicht aus, um das Ganze der menschlichen Person zu erfassen. Lüke verwies auf anschauliche Beispiele perspektivistischer Deutung. So sei eine Ansammlung von Wasserdampf von außen eine Wolke, von innen jedoch Nebel. Auch sei die Partitur eines Musikstücks, abgesehen von der codierten Sprache, nicht identisch mit der intersubjektiv vermittelten, real erklingenden Musik. Die Naturwissenschaft tue gut daran, die Grenzen ihrer Methoden zu akzeptieren und jenseits dieser Methoden kein Wissen zu suggerieren, über das sie nicht verfüge.

Im abschließenden von Kurt Schanné moderierten Podiumsgespräch zwischen Lüke und Weckwerth, zeigten sich gewisse Unterschiede im Hinblick auf die Einschätzung der Reichweite wissenschaftlicher Erkenntnis. Während Lüke darauf insistierte, dass es Fragen gebe, auf die wir niemals eine Antwort finden werden, sieht Weckwerth eher eine schrittweise Verschiebung von Horizonten der Erkenntnis. Am Ende steht also die Frage: Können wir prinzipiell nicht wissen und werden auch nie wissen, was z.B. Bewusstsein ist, oder wissen wir es noch nicht? Die Forschung jedenfalls geht auch an der Schnittstelle von Glauben und Wissen, von Transzendenz und Immanenz weiter.

Dies wurde auch beim Resümee der Tagung deutlich, das am Sonntagmorgen gemeinsam gezogen wurde. Dabei wurden auch die Ergebnisse aus 3 vormittäglichen Arbeitsgruppen am Vortag vorgestellt. Sie drehten sich um die Aktualität der philosophischen Tradition des Leib-Seele Problems, um den Umgang mit dem Sterbeprozess sowie um die Ziele von Religions- und Evolutionswissenschaften.

Die Tagung endete in einer Eucharistiefeier mit Pfr. Bernd Weckwerth unter dem Thema „Wurmloch zum Himmel?“. In den Texten des Tages (AT: Der sog. „Sündenfall“; NT: Die Versuchungen Jesu in der Wüste) klangen nochmals Motive der Tagung an. So wurde deutlich, dass auch Wissen eine Versuchung sein kann, mit der wir in der rechten Weise umgehen sollen. Es hängt an uns, ob wir unser Wissen zur Lösung der großen Weltprobleme nutzen oder zum Machterhalt, d.h. meist zerstörerisch einsetzen.

Der Arbeitskreis wird sich vom 21.-23. Juni 2024 mit neuen Entwicklungen der Künstlichen Intelligenz und ihren Auswirkungen auf das Selbstverständnis und die Lebenswelt der Menschen befassen.
                                                                                               Kurt Schanné und Gerd Weckwerth  

URKNALL UND GLAUBE – wie die Welt und unser Leben geschaffen wurden

spektrale Dynamik (blau auf uns zu, rot von uns weg

Vortragabend am: Montag, 10.10.2022 – 19:30 – 21:00 Uhr
Veranstaltungsort: Ludwigshafen, Heinrich Pesch Haus – Katholische Akademie Rhein-Neckar

Mit „Hubble“ und dem gerade im Weltraum installierten Nachfolge-Teleskop (James-Webb) geht der Blick der Forscher näher an den Ursprung unserer Zeit als je. Doch warum konnte sich der Kosmos vom Urknall bis hin zu uns so unglaublich entwickeln?

Das wissenschaftliche Weltbild findet mit dieser Frage einen Anknüpfungspunkt an den Schöpfungsglauben und möchte aus dem Staunen auch zur Suche nach Antworten motivieren.
Der Abend untersucht verschiedene Ansätze, wie der Urknall aus dem Glauben zu deuten ist.

Referent: Dr. Gerd Weckwerth, Physiker, Institut für Geologie und Mineralogie der Universität Köln und
Rheinisches Institut für Umweltforschung, ND-Arbeitskreis „Naturwissenschaft und Glaube“
Moderation: Dr. Matthias Rugel SJ

Kostenbeitrag frei. Spende erbeten..

Sexuelle Identitäten und Menschenwürde

Die 38. Tagung des AK Naturwissenschaft und Glaube hat ein Thema des Synodalen Weges aufgegriffen (26.-28. Aug. 2022)

von Kurt Schanné und Gerd Weckwerth 

Sexualität ist in der Evolution des Lebendigen ein vergleichsweises junges Phänomen, das vor etwa 600 Millionen Jahren als spezielle Art der Fortpflanzung auf der Erde erstmals auftrat. Es bezeichnet im engeren biologischen Sinne, dass erst zwei verschiedene Fortpflanzungstypen (Geschlechter) von Lebewesen einer Art zur Fortpflanzung fähig sind, wobei jeweils 50% der Erbinformationen dieser Eltern übernommen und weitgehend zufällig in den Nachkommen neu kombiniert werden. Sie gilt als wichtigster Beschleuniger der biologischen Evolution mittels Mutation und Selektion, weil damit Umwelt-Anpassung und Ausdifferenzierung der Arten effektiver gelingen.  

Wie die Geschlechter der Arten zueinander finden und miteinander umgehen, wird als Sexualverhalten bezeichnet und hat bei Wirbeltieren Funktionen im Sozialgefüge der Population hinzugewonnen. Da diese nichts mehr mit dem Genomaustausch zu tun haben müssen, ist es nicht nötig, dass die dabei handelnden Partner unterschiedlichen Geschlechts sind. Dass es beim Menschen – und nicht nur bei ihm – neben der heterosexuellen Präferenz eine Vielzahl weiterer, nicht veränderbarer Neigungen gibt, gilt heute als erwiesen. Im Mittelpunkt des Interesses stehen vor allem Homosexualität, Pädophilie und Hebephilie (Liebe zu frühpubertären Jungen oder Mädchen).

Im weiteren Sinn bezeichnet Sexualität die Gesamtheit der Lebensäußerungen, Empfindungen und Interaktionen von Lebewesen in Bezug auf ihr Geschlecht. Neben der sexuellen Präferenz, die sich im Jugendalter herausbildet, ist die sog. Geschlechts- oder „Gender“-Identität ein zentraler Einflussfaktor. Diese tritt schon im Kindesalter hervor und drückt aus, als was jemand sich selbst empfindet, als Mann, als Frau oder als ein „Drittes“. Damit tut sich das weite Feld der Trans- und Intersexualität auf.

Prof. Dr. Dr. Klaus Beier, Direktor des Instituts für Sexualwissenschaft und Sexualmedizin an der Charité in Berlinführte uns in Kloster Salmünster in diese komplexen Zusammenhänge ein. Dabei betonte er, dass bei jeder Variante der Sexualität das Bedürfnis nach Zuneigung und Anerkennung eine ganz wichtige Rolle spielt. Es geht also beim „Sex“, in welcher „Spielart“ auch immer, gar nicht in erster Linie um „sexuelle Handlungen“, sondern stets um ein Zusammenspiel biologischer, psychischer und sozialer Komponenten. Es ist ein Grundbedürfnis jeden Menschen, in Differenz, aber auch Einklang mit seiner Um- und Mitwelt zu leben. Solange die eigene Sexualität in diesen Kontext integrierbar ist, ist der Mensch zufrieden und erfährt sein Leben als gelungen.

Dies gilt nach Beiers Darstellung in gleicher Weise für homosexuelle Partnerschaften, die als „Normvariante“ unbedingt zu respektieren sind. Wenn sich jedoch sexuelle Neigungen zeigen, die auf der Verhaltensebene nicht oder nur „insgeheim“ ausgelebt werden dürfen, oder wenn die eigene biologische Identität nicht mit der „Geschlechtsidentität“ übereinstimmt, treten massive Dissonanzen und Konflikte auf, die in vielen Fällen schweres seelisches Leid auslösen. Meist erst dann werden diese „Fälle“ zum Gegenstand medizinischer Diagnose und Behandlung. Prof. Beier stellte das heute bundesweit aktive Netzwerk „Kein Täter werden“ vor, das unter seiner Leitung 2005 an der Charité in Berlin entstand und sich an Menschen mit pädophilen Neigungen bereits im Vorfeld wendet, solange sie noch nicht straffällig geworden sind.

Prof. Thomas Weißer (Laubach)

Wie kann die Theologische Ethik all diese vielfältigen Aspekte aufnehmen und in ein ganzheitliches Konzept von Sexualität integrieren? Diese Frage griff Herr Prof. Dr. Thomas Weißer (Laubach) auf. Er lehrt in diesem Fachgebiet an der Universität Bamberg. Zunächst skizzierte er das „klassische“ Modell katholischer Sexualethik mit seinem stark normativen und „dichotomischen“ Ansatz. Demnach ist jede sexuelle Handlung danach zu beurteilen, ob sie alle mit der Sexualität verbundenen „Güter“ bzw. Wertdimensionen realisiert oder nicht. Im einen Fall ist sie erlaubt, im anderen nicht. In der Konsequenz führt dies dazu, dass jede sexuelle Handlung, auf jeden Fall jeglicher „Geschlechtsakt“ außerhalb der Ehe unzulässig ist. Damit stehen alle vor- und außereheliche sexuellen Praktiken ebenso unter moralischem Generalverdacht wie die Masturbation und die „vollzogene“ homosexuelle Partnerschaft. Diese traditionelle Lehre wurde vom Vatikanum II zwar personalistisch reinterpretiert und auch vertieft, aber in der Substanz nicht wirklich aufgegeben, ebenso wenig von den nachfolgenden Päpsten Johannes Paul II. und Benedikt XVI. Am ehesten kann man noch in „Amoris laetitia“ von Papst Franziskus ein vorsichtiges Abrücken von dem bisherigen Denk- und Beurteilungsschema erkennen.

Weißer plädierte dagegen – auch auf der Linie des Synodalen Wegs – für einen prinzipien-orientierten Zugang. Demnach ist sexuelle Praxis grundsätzlich wie jede andere Praxis danach zu beurteilen, ob sie grundlegende Werte wie z.B. Freiheit, Würde und Selbstbestimmung, Partnerschaft, Respekt, Verantwortung,  Verbindlichkeit und „Generativität“ realisiert. Eine solche Sichtweise rückt ab von einer „aktbezogenen“ Beurteilung und fokussiert auf die Qualität einer Beziehung, in der Sexualität gelebt wird. In dieser Perspektive entfallen die meisten der „klassischen“ moraltheologischen Kategorisierungen, weil nicht mehr „fallbezogen“ gedacht wird, sondern vom konkreten Menschen her, der sein Leben lang auf der Suche nach gelingender ganzheitlicher Beziehung ist, die sich unter den Bedingungen unserer Begrenztheit immer nur graduell realisieren lassen, gleichwohl aber stets unter dem Segen Gottes steht. Die katholische Kirche ist hier in einen tiefgreifenden Lernprozess eingetreten. Alte Texte müssen neu interpretiert und überkommene Lehren  revidiert werden. An dem empirischen Wissen über die natur- und humanwissenschaftlichen Zusammenhänge kommt auf die Dauer niemand vorbei. Der Arbeitskreis wünscht dem Synodalen Weg an dieser Stelle durchgreifenden Erfolg und nachhaltige Wirkung, weit über Deutschland hinaus.