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Tagungsbericht 2024

SIND WIR NOCH HERR IM EIGENEN HAUS  –
Globale Herausforderung durch Künstliche Intelligenz (KI)

Unter diesem Thema fand im hessischen Kloster Salmünster vom 21. bis 23. Juni 2024 die 40.Tagung des AK Naturwissenschaft und Glaube statt. Etwa 30 Teilneh­mer hatten sich im Bildungshaus der Diözese Fulda zu einem derzeit äußerst aktuellen Thema ge­troffen. Das sei bei der Wahl des Themas vor zwei Jahren noch gar nicht absehbar gewe­sen, sagte AK-Leiter Gerd Weckwerth bei seiner Einführung am Freitagabend, dass u.a. mit Verabschiedung des EU AI-Act im Mai und der Papstrede auf dem G7-Gipfel in der Vorwoche auch das politische Interesse an KI gerade weltweit so im Fokus stehen könnte.

Er ging zunächst auf Überschneidungen zu früheren Themen ein. So habe vor allem die Tagung im Jahr 2013 Künstliches Bewusstsein – der (Alp-)Traum der Hirnsimula­tion“ zum Start des Human Brain Projects der EU schon ähnliche Fragen angespro­chen. Beim letztjährigen Abschluss des Projekts kam es zwar weder zu künst­lichem Be­wusstsein noch zu einer vollständigen Hirnsimulation, aber in vielen Teil­projek­ten wurden wertvolle Ansätze für neuronale Netze und andere KI-Methoden entwickelt.

Greifbar für eine breitere Öffentlichkeit wurde die KI aber vor allem durch den im No­vem­ber 2022 vom US-Unternehmen OpenAI kostenlos zugängig gemachten Chatbot „ChatGPT“ mit einem Sprachmodell, das an mehreren 100 Milliarden Texten trai­niert wurde und erstmals in der Lage war, umfassende Antworten zu frei formu­lierten Fra­gen von Nutzern zu generieren. Innerhalb der ersten 5 Tagen hatten sich über 1 Mil­lion Nutzer registriert. Bezeichnend für die neuen Möglichkeiten von KI ist u.a. das aktuel­le Problem von Schulen, auf die steigende Zahl von Schülern zu reagie­ren, die mit wenig Aufwand mittels ChatGPT ihre Hausaufga­ben machen. Wenn das zu leicht möglich ist, könnte das den angestrebten Lernerfolg dieser Schüler gefährden.

Nach Erklärung einiger Fachbegriffe und KI-Techniken, z.B. Deep Fakes (KI-Fälschungen), endete die Einführung mit einem Video, das an vielen Beispielen zeigte, wie KI sogar schon heute unser Leben bestimmt. Dass wir immer mehr die Kontrolle über unser eigenes Haus zu verlieren drohen, weist sicherlich Parallelen zur Ballade des Zauber­lehrlings von Goethe auf. Einen wassertragenden Besen mit Roboter­­kopf habe er daher zum Logo der Tagung gewählt. Mit KI schaffen wir uns teils ähnlich magisch wirkende Diener, die wir im Ernstfall vielleicht auch nicht mehr los werden.

KI – Überschätzte Technik?
Zum ersten Vortrag am Samstagmorgen konnte der Arbeitskreis Dr. Eva Brucher­seifer gewinnen, die seit 2017 Professorin für Embedded und intelligente Systeme an der Hochschule Darmstadt ist. Sie orientierte sich zur Einführung in den Begriff KI zu­nächst an der nachzubildenden Intelligenz des Menschen. Auch dessen Intel­li­genz lässt sich kaum exakt definieren und wird mit Begriffen wie Wissen, Lernen oder Autonomie verbunden. Auch wenn die zur KI genutzten Computer und Maschi­nen manches heute bereits deutlich besser als Menschen können (z.B. schneller rechnen) ist das als „starke KI“ bezeichnete Ziel, jede Aufgabe ähnlich gut oder gar besser als Men­schen zu lösen, aus ihrer Sicht noch in weiter Ferne.

Auch der Erfolg einer schwachen KI, mit beschränkter Funktionalität, war erst nach der Jahrtausendwende in größerem Umfang möglich. So war das Weltwissen von Expertensystemen noch nicht in einer für Computer greifbaren, digitalen Form ab­bildbar. Nach Brucherseifer be­durfte es zusätzlich einer sogenannten prädi­katenlo­gischen Codierung, die in einem Mammutprojekt (Cyc) 1984 begonnen wurde, aber letztlich wegen des Umfangs nicht weiter verfolgt wird. In vereinfachter Form nutzt man heute die Definitionen von Begriffen und Beziehungen als abstrakte Sche­mata (Ontolo­gien) und über Wissensgraphen (faktenbasierte Zuordnungen) für abge­grenzte Anwendungsgebiete. In dieser Weise codiert, erhält Wissen aus Expertensy­ste­men Normierung und Tran­sparenz sowie die Möglichkeit zu umfassender Vernetzung.

Um damit optimale Lösungen für ein gegebenes Problem zu finden, nutzt man geeig­nete Suchalgorithmen, wie man sie z.B. von Routenplanern oder Spielen wie Schach und Go kennt. Für komplexere Umfelder werden u.a. auch evolutionäre Algorithmen eingesetzt, die Mechanismen der Evolution nachahmen. Der Hauptschritt zu einer KI, die wie Menschen vorausschauende Entschei­dungen trifft, ohne explizit da­für pro­grammiert zu sein, ist sog. „Maschi­nelles Lernen“. Solche Systeme nutzen Musterer­kennung, um neue Daten nach bestimmten Modellen zu bewerten und zuzuordnen.

Wenn dabei Abweichungen von bisherigen Bilanzen auftreten, werden die Para­meter in dem zugrunde liegenden Modell aktualisiert. Dies kann durch gezielte Bei­spiele und unter Überwachung durch Menschen (sogenannte Supervisoren) gesche­hen oder durch Interaktion mit der Umgebung, was den verwendeten Algorithmus beeinflusst.

Überwachtes Lernen benutzt dazu schon gekennzeichnete Daten, um Vorhersagemo­delle zu trainieren, während unüberwachtes Lernen Muster in ungekenn­zeichne­ten Daten erkennt und verstärkendes Lernen durch Interaktion mit der Umgebung und Belohnungen lernt. Diese drei Methoden des maschinellen Lernens unterscheiden sich in ihren Ansätzen und Anwendungsbereichen und im erforderlichen Aufwand von Ressourcen zur Datenkennzeichnung.

Prinzipiell wird überwachtes Lernen hauptsächlich für Klassifikation und Regression, unüberwachtes Lernen für Clustering und Mustererkennung sowie verstärkendes Lernen für interaktive Problemlösungen und Optimierung eingesetzt. Ob ein Training unüberwacht erfolgreich möglich ist, hängt davon ab, wie gut die verwendeten Algorithmen (wie Regression, Clustering, Entscheidungsbäume) zur Art der Daten passen und wie weit das System bereits vortrainiert wurde.

Brucherseifer zeigte am Beispiel von Flugzeugturbinen, wie ein statistisches maschi­nel­les Lernen funktioniert. Dabei werden Sensordaten gezielt vorverarbeitet, um sie vergleichbarer und aussagekräftiger zu machen. Daraus werden dann auffällige Merk­male generiert und auf typische, aussagekräftige Aspekte reduziert. Diesen werden Fehlerzustände und soweit möglich Schadensmodelle zugeordnet, die dann zur Evaluation von Fehlerdiagnosen und Prognosen der Restlebensdauer nutzbar sind.

Zur Vermeidung langwieriger Suche nach geeigneten, aber oft nur begrenzt einsatzfä­higen Rechenmodellen, war ein Weg der KI-Forschung, Systeme zu erarbei­ten, die von der Funktionsweise menschlicher Gehirne inspiriert sind, sogenannte „Neuronale Netze“.  Sie bestehen aus mehreren miteinander verbundenen Knoten (Neuronen), die in der Regel in Schichten organisiert werden. Ein Knoten kann durch die Summe von Eingaben aktiviert werden, die in einem Lernprozess meist angepasst gewichtet einen nötigen Schwellwert erreichen. Lernen kann ein solches System auch durch Aufbauen und Löschen von Verbindungen bzw. ganzen Knoten.

Meist ist die Architektur eines Netzwerks aber schon in Hinblick auf die angestrebte Aufgabe konstruiert z.B. Unterteilung in sich wiederholend erneuernde und langzeitig unveränderliche Eingabereiche. Als Beispiel führte Brucherseifer die Erkennung von Verkehrszeichen in wechselnden Umgebungen an. Dazu werden Tausende von Bildern in ein bereits vortrainiertes Modell eingegeben, um durch Rückkopplungen aus richtig oder falsch erkannten Schildern eine immer höhere Zuverlässigkeit zu erzielen.

Der häufiger von Zwischenfragen begleitete Vortrag kam gegen Ende zur sogenannten „Generativen künstlichen Intelligenz“. Damit sind Systeme gemeint, die die Fähigkeit besitzen, neue Inhalte z.B. Bilder, Texte, Musik zu generieren, und zwar sowohl aus Vorgaben von KI-Systemen (z.B. neuronale Netze) als auch im Dialog mit Menschen, basierend auf einem Sprachmodell, wie das bereits oben angesprochene ChatGPT.

Typische Aufgabe ist es, in Daten unterschiedlicher Herkunft zunächst einen Code zu entschlüsseln (Encoder) und in einem zweiten Schritt nach einer Bearbeitung oder Reaktion die Daten wieder zu Codieren wie die Eingaben (Decoder). Für ChatGPT geht es darum, die Semantik einer Eingabe in einen Kontext zu stellen. Dabei kann in viel­fältigerweise eine konzeptionelle Form von Auf­merksamkeit auf einzelne Wörter an­gewandt werden. Unter zahlreichen Varianten wird dann meist nach den wahrschein­­lichsten Möglichkeiten eines nächsten Wortes gesucht. In neues­ten Versi­onen von ChatGPT sind immer mehr Beispiele guter Texte (~1 TB) in das System eingestellt worden und zum Training bei der Erzeugung von Antworten über menschliches Feed­back bewertet bzw. angepasst worden. Das gilt vor allem für die Aktualisierung der Texte, die in den Gratis-Versionen von Chat GPT noch auf dem Stand von 2021 sind.

Am Schluss des Vortrags versuchte Frau Brucherseifer an wenigen Beispielen die Be­deutung dieser neuen KI-Techniken für die Weiterentwicklung unserer Gesellschaft einzuordnen. Sie erwähnte vor allem die Integration von KI in physische Roboter, meist um diese dadurch autonomer und vielfältiger Aufgaben lösen zu lassen, wie z.B. autonomes Fahren auf Straßen oder Steuerung von Drohnen.

Hauptproblem bleibt dabei die Abbildung bzw. Anpassung der digitalen Welt an die physische Welt und das oft noch über Sensorik in Echtzeit-Kopplung. Um das vor allem sicher zu machen, muss der Mensch als Risikofaktor berücksichtigt werden, dessen Fehlbedienung, falsche Erwartungen, geringes Kritikbewusstsein und Bequemlichkeit zu ungewollten Interaktionen mit KI-Systemen führen kann, speziell wenn Transparenz und Nachvollziehbarkeit für den Menschen abnehmen.

Als weitere Gefahren erwähnte Brucherseifer Diskriminierungen und Ungerechtigkeit von KI-Systemen durch unreflektiertes Training und durch Einsatz von KI-Systemen in ursprünglich nicht geplanten Bereichen und Umfängen. Daher könne man die Verab­schiedung des ersten KI-Gesetzes der EU im Vormonat nur begrüßen, bei der KI-Sy­steme nach Risikoklassen von unbedenklich bis völlig inakzeptabel bewertet werden.

Neben einer Arbeitsgruppe für weitere Nachfragen zum Referat von Frau Bruchersei­fer wurden anschließend noch zwei aktuelle Gesprächsgruppen angeboten. Die einen befassten sich anhand des verteilten Textes der Rede von Papst Franziskus auf dem G7-Gipfel mit den darin angesprochen Gefahren durch KI-Technik und den damit ver­bundenen Appellen an die dort versammelten Staatsoberhäupter. Ein zweite Gruppe beschäftigte sich mit einem Text in der aktuellen Ausgabe von Bild der Wissenschaft zu sogenannten Deep Fakes; das sind perfekte, mit Hilfe von KI erstellte Fälschungen.

KI-Systeme haben kein „Ich“ 

Am Nachmittag knüpfte Tobias Müller, Inhaber der Professur für Religionsphilosophie und Fundamentaltheologie an der Universität Rostock, in seinem Vortrag nahtlos an die Ausführungen von Eva Brucherseifer an. Zunächst beschrieb er nochmals aus seiner Sicht die Grundlagen, die Funktionsweise und die Einsatzfelder von KI.

Dabei stellte er fest, dass diese Technologie in rasantem Tempo und zunehmend fast alle gesellschaftlichen Bereiche durchdringt und auch die menschliche Lebenswelt längst erfasst hat. Er wies darauf hin, dass die neuen technischen Systeme wie etwa ChatGPT bereits täuschend ähnlich menschliche kognitive Funktionen simulieren.

Dies wirft neben ethisch hoch brisanten Fragen die anthropologische Frage auf, ob KI-Systeme als menschenähnliche Wesen verstanden werden können und umgekehrt, ob wir Menschen womöglich selbst nichts anderes als biologisch verkörperte Rechen­ma­schinen sind, was die erneute Kränkung unseres Selbstverständnisses bedeuten würde.

Müller näherte sich diesen Fragen mit den Mitteln der sogenannten „Philoso­phie des Geistes“. Dies ist eine im anglo-amerikanischen Raum entstandene Denkrich­tung, die darauf zielt, möglichst genau zu beschreiben, was Begriffe wie Den­ken, Ler­nen, Intelligenz und Bewusstsein eigentlich bedeuten. Ergebnis seiner Analyse ist, dass alle diese Begriffe auf KI-Systeme allenfalls metaphorisch angewendet werden können.

Tatsächlich spricht nichts dafür, dass ein KI-System Bewusstsein hat, lernt, etwas em­pfindet oder gar denkt. Warum ist das so? Weil ein Rechner wie ChatGPT kein Verhält­nis zu sich selbst hat und keine Ich-Perspektive entwickelt. Er weiß nicht, dass er ein Rechner ist. Es fehlt ihm die reflexive Distanz zu sich selbst und zu seiner Umwelt. Was er tut, ist lediglich, aus vorgegebenem und eingespeistem Datenmaterial anhand eines programmierten Algorithmus Wahrscheinlichkeiten für ein bestimmtes Muster, z.B. für einen Text oder ein Bild, zu errechnen und dieses Muster innerhalb von oft nur Milli­sekunden „auszuwerfen“. So funktioniert z.B. die Textproduktion bei ChatGPT.

Daher ist es auch gänzlich unmöglich, zu einem Computer eine quasi-personale Beziehung aufzubauen. Natürlich können sich mit Maschinen auch Emotionen verbinden (z.B. mit Autos), aber die Vorstellung einer empathischen Beziehung zu einem Rechner und die Erwartung, dass dieser darauf empathisch reagiert, ist absurd.

Gleichwohl können „Pflegeroboter“ zumindest als Assistenzsysteme in Zukunft eine wichtige Rolle spielen. Für den Einsatz von KI-Systemen braucht es dringend eine chancen- und risikobewusste gesellschaftliche und auch rechtliche Rahmung, wie sie von der EU bereits in einem ersten Anlauf vorgenommen wurde. ­­———-

Die Tagung schloss am Sonntag mit einem Gottesdienst zum Thema „Intelligentes Verantwortungsbewusstsein“, in dem Pfarrer Bernd Weckwerth nochmals an den Appell des Papstes aus der Vorwoche erinnerte, Entscheidungen über Leben und Tod von Menschen nicht an KI-Systeme abzugeben.

Die Jubiläumstagung „40 Jahre AK“ wird vom 27.-29. Juni 2025 im Kloster Salmünster stattfinden.

Bericht: Nahtoderfahrung und Evolution

Gemeinsame Tagung des AK Naturwissenschaft und Glaube und der ND-Region Münster Hamburg Osnabrück

Unter dem Thema „Nahtoderfahrungen und Evolution“ trafen sich vom 24. – 26. 2. 2023 etwa 40 Teilnehmer in der Akademie Franz Hitze Haus in Münster zu einer informativen wie auch emotional bewegenden Wochenendtagung.

Das galt insbesondere für die Berichte von 4 Bundesgeschwistern, die am Freitagabend von ihren ganz persönlichen Nahtoderlebnissen (NTE) erzählten. Obwohl diese zum Teil schon Jahrzehnte zurücklagen, schilderten sie das Erlebnis so farbig und ergreifend, als wäre es erst gestern gewesen. Dabei bekannten sie meist sehr offen, wie prägend das Erlebnis für ihren weiteren Lebenslauf war. Das bestätigten auch die Berichte von 2 Personen mittleren Alters aus Bayern, die in einem aktuellen Video der katholischen Medienzentrale ihre NTE vorstellten. Übereinstimmend erklärten alle Betroffenen, dass sie durch das Erlebnis früher bestehende Ängste vor dem Tod verloren hätten und heute mit großer Gewissheit an ein Weiterleben in einer gewandelten Form glauben.

Am Samstagmorgen stellte Dr. Gerd Weckwerth, einer der Leiter des AK, eine von ihm entwickelte Theorie zum Ursprung der bei weltweit ~5% aller Menschen auftretenden NTE vor. Nach dieser Theorie handele es sich um ein ganz natürliches, im Rahmen der Evolution des Menschen entstandenes Phänomen. Die durch zunehmendes Selbstbewusstsein verstärkte Wahrnehmung des Todes habe beim Urmenschen in lebensgefährlichen Situationen zu einer oft lähmenden Todesangst geführt. Diesem vor allem im Überlebenskampf mit weniger selbstbewussten Lebewesen nachteiligen Effekt hätten nach Weckwerths Theorie die in Todesnähe erscheinenden Bilder entgegengewirkt, die sich als Übergang und Weiterleben in eine jenseitige Welt deuten ließen. Durch evolutive Selektion hätte sich immer realistischer und vielfältiger die Deutung, dass der Tod nicht das Ende einer Person ist, verstärkt. Dazu kam, dass solche Bilder erst durch körperliche Notlagen wie Sauerstoffunterversorgung ausgelöst und daher stets in Verbindung mit dem Tod gebracht wurden.

NTE könnte daher als eine Art „Todesangstüberwindungsprogramm“ angesehen werden, das die Vorstellung eines Lebens nach dem Tod benutzt und zugleich gefördert hat. Einen Beleg dafür sieht Weckwerth in Grabbeigaben, die als älteste Zeugnisse menschlicher Religiosität gelten. Heutige NTE sind seines Erachtens aber nur noch ein Relikt aus der Zeit der Entstehung des Menschen, eine Art „Fingerspur der Hominisation“. Sie passe gut zu einem modernen Schöpfungsglauben, nach dem „Gott die Welt so gemacht hat, dass sie sich macht“ (Teilhard de Chardin).  Seine Theorie biete im Gegensatz zu esoterischen Deutungen zumindest einen Ansatz für mögliche gemeinsame Untersuchungen von Religions- und Evolutionswissenschaft.

Ein zweiter Vortrag am Samstagnachmittag von Bundesbruder Prof. em. Dr. Ulrich Lüke befasste sich mit Möglichkeiten der Deutung von „out-of-body-Erfahrungen“, die bei NTE häufig auftreten. Einerseits gebe es die grob materialistische Vorstellung, dass der Geist das Produkt des Gehirns sei, ähnlich wie der Urin das Produkt der Nieren. Das andere Extrem sei die Auffassung, dass die von Gott geschaffene, unsterbliche Geist-Seele, sich des menschlichen Leibs in seiner Erdenzeit nur bediene, bis dahin, dass der Körper nur eine Erscheinungsform des Geistes sei. Die Frage nach geistigen Phänomenen wie Bewusstsein oder Freiheit und auch die Frage nach der Möglichkeit real erlebter NTE werde heute in der Wissenschaft meist mit Hinweis auf die Äquivalenz von Geist und Gehirn beantwortet. Das alles sei nur das „Feuern von Neuronen“. Derartige Positionen würden aber dem komplexen Phänomen Mensch nicht gerecht.

Selbstverständlich sei eine vielfältige Determination des Menschen durch seinen Körper und durch seine neurophysiologische Konstitution anzunehmen, wie z.B. beim sog. Libet-Experiment. Neben diesem objektiven Blick von außen (Es-Perspektive), könne sich der Mensch aber aus der Perspek­tive der ersten Person (Ich-Perspektive), dennoch frei sehen. Diese sei nicht 1:1 in die Sprache der Neurophysiologie übersetzbar, sondern deren Vokabular reiche nicht aus, um das Ganze der menschlichen Person zu erfassen. Lüke verwies auf anschauliche Beispiele perspektivistischer Deutung. So sei eine Ansammlung von Wasserdampf von außen eine Wolke, von innen jedoch Nebel. Auch sei die Partitur eines Musikstücks, abgesehen von der codierten Sprache, nicht identisch mit der intersubjektiv vermittelten, real erklingenden Musik. Die Naturwissenschaft tue gut daran, die Grenzen ihrer Methoden zu akzeptieren und jenseits dieser Methoden kein Wissen zu suggerieren, über das sie nicht verfüge.

Im abschließenden von Kurt Schanné moderierten Podiumsgespräch zwischen Lüke und Weckwerth, zeigten sich gewisse Unterschiede im Hinblick auf die Einschätzung der Reichweite wissenschaftlicher Erkenntnis. Während Lüke darauf insistierte, dass es Fragen gebe, auf die wir niemals eine Antwort finden werden, sieht Weckwerth eher eine schrittweise Verschiebung von Horizonten der Erkenntnis. Am Ende steht also die Frage: Können wir prinzipiell nicht wissen und werden auch nie wissen, was z.B. Bewusstsein ist, oder wissen wir es noch nicht? Die Forschung jedenfalls geht auch an der Schnittstelle von Glauben und Wissen, von Transzendenz und Immanenz weiter.

Dies wurde auch beim Resümee der Tagung deutlich, das am Sonntagmorgen gemeinsam gezogen wurde. Dabei wurden auch die Ergebnisse aus 3 vormittäglichen Arbeitsgruppen am Vortag vorgestellt. Sie drehten sich um die Aktualität der philosophischen Tradition des Leib-Seele Problems, um den Umgang mit dem Sterbeprozess sowie um die Ziele von Religions- und Evolutionswissenschaften.

Die Tagung endete in einer Eucharistiefeier mit Pfr. Bernd Weckwerth unter dem Thema „Wurmloch zum Himmel?“. In den Texten des Tages (AT: Der sog. „Sündenfall“; NT: Die Versuchungen Jesu in der Wüste) klangen nochmals Motive der Tagung an. So wurde deutlich, dass auch Wissen eine Versuchung sein kann, mit der wir in der rechten Weise umgehen sollen. Es hängt an uns, ob wir unser Wissen zur Lösung der großen Weltprobleme nutzen oder zum Machterhalt, d.h. meist zerstörerisch einsetzen.

Der Arbeitskreis wird sich vom 21.-23. Juni 2024 mit neuen Entwicklungen der Künstlichen Intelligenz und ihren Auswirkungen auf das Selbstverständnis und die Lebenswelt der Menschen befassen.
                                                                                               Kurt Schanné und Gerd Weckwerth  

AK-Tagungsbericht-2-3-Juli-2021

Ist außerirdisches intelligentes Leben mit dem Christentum vereinbar?

Das kommt darauf an, wie wir das Christentum interpretieren“, so die Antwort von Armin Kreiner, Emeritus der Fundamentaltheologie an der Ludwig-Maximilians-Universität München. Der Arbeitskreis Naturwissenschaft hatte ihn und die Bochumer Astrophysikerin und Direktorin des dortigen Planetariums, Susanne Hüttemeister, zur digitalen Konferenz eingeladen. Mit von der Partie war auch der Kölner Exoplanetenforscher Sascha Grziwa, der bei der Einführung in dieses neue Forschungsgebiet seine Unterstützung angeboten hatte.

Wie Frau Prof. Hüttemeister ausführte, ist nach heutigem Stand der Wissenschaft mittlerweile die Existenz von über 4600 Exoplaneten erwiesen, von denen sich 60 (siehe Zoombild) in der „habitablen Zone“ um einen nahen Stern bewegen und auch von der Größe und Art eine mögliche Eignung für Leben aufweisen könnten. Auch der uns nächstgelegene Stern weist einen solchen Exoplaneten mit Namen Proxima Centauri b auf, ist aber dennoch 4,2 Lichtjahre von uns entfernt, während das Licht unserer eigenen Sonne nur 8 Minuten bis zu uns braucht.

So oder ähnlich konnten die Teilnehmer die Vortragsfolien und rechts unten die Referentin während des Vortrags sehen

Die einzige Chance zu erkennen, ob auf einer dieser für Leben geeigneten Exoplaneten wirklich auch Leben entstanden ist, scheint die Analyse möglicher Atmosphären auf diesen Exoplaneten, da diese über zusätzliche Spektrallinien im Licht des Sterns, abhängig vom Stand des Planetenumlaufs in einigen Fällen bereits gelungen ist. Das bei möglichen Kandidaten genauer zu untersuchen, soll in Zukunft durch das neue James-Webb-Weltraumteleskop und geplante, noch größere irdische Teleskope ermöglicht werden. Als untrügliches Zeichen für Leben gelten vor allem Linien von Ozon, da sie kaum anders als durch Sauerstoff produzierende, der Photosynthese ähnliche Vorgänge auf einem Planeten möglich erscheinen.

Was wäre, wenn auf einem solchen Exoplaneten nicht nur Leben, sondern intelligentes Leben analog zu dem unseren nachgewiesen würde? Der aufklärerische Philosoph Thomas Paine, einer der Gründerväter der Vereinigten Staaten von Amerika, formulierte schon vor über 200 Jahren, dass ein solcher Nachweis das Christentum auf einen Schlag erledigen würde, denn es sei ja völlig undenkbar, die christliche Heilsgeschichte kosmisch zu extrapolieren. Diese sei völlig auf Jesus Christus und sein irdisches Erlösungswerk fokussiert.

Diese Argumentation, die seither immer wieder vorgetragen wird, überzeugte Armin Kreiner nicht. Vielmehr schlug er vor, eine Neuinterpretation der Menschwerdung des göttlichen Wortes (Logos) in den Blick zu nehmen, die sich grundsätzlich durchaus in verschiedenen, dafür geeigneten planetaren Welten ereignen könne. Damit wird die Inkarnation allerdings von der historischen Person des Jesus von Nazareth entkoppelt und zur „Metapher“ für ein grundlegendes, erlösendes Ereignis der Verbindung geschöpflich-intelligenten und göttlichen Lebens. Will man nicht in diese Richtung denken, so Kreiner, dann sei man gezwungen anzunehmen, dass das Christusereignis hier auf der Erde kosmisch einmalig ist und demnach von Christen sobald es zukünftig einmal möglich würde, in einer „intergalaktischen Mission“ über das gesamte Universum verbreitet werden müsste.

Wie in der Diskussion deutlich wurde, lag es auch für die Teilnehmenden sehr viel näher, dass ein universaler Heiliger Geist auch auf selbstbewusste, personale Wesen anderer Planeten eine Wirkung mit einer der christlichen Heilsgeschichte vergleichbaren Entwicklung ausübt. Letztlich werfen Erkenntnisse über mögliche, weit entfernte „Verwandte“ somit auch ein Schlaglicht auf unsere eigene Vorstellung von der Inkarnation Gottes.

In einem abschließenden Gottesdienst beschäftigte sich Pfarrer Bernd Weckwerth mit der neuen Welt des Himmels. Dieser müsse nach heutigem Denken immer etwas mit unserem Leben und mit der Entwicklung des Kosmos zu tun haben.

                                                                                              Kurt Schanné und Gerd Weckwerth

Kann Glauben heilen?

Kann Glaube heilen? Kurzbericht zur Tagung des AK“Naturwissenschaft und Glauben“ vom 24.-26.6.2016 im Kloster  Salmünster 

Fast 60 NDerinnen und NDer fanden sich im ehemaligen Franziskanerkloster Salmünster zusammen, um die Heilkraft des Glaubens zu erkunden, darunter eine ganze Reihe, die erstmals am Arbeitskreis Naturwissenschaft und Glaube teilnahmen. Nach einer Einführung durch Gerd Weckwerth befasste sich der erste Vortrag am Samstag mit religiösem Glauben als positiv wirkendem Faktor in der Evolution des Menschen. Dr. Benjamin Lange als Vertreter von Prof. Dr. Harald Euler präsentierte überzeugend und rhetorisch pointiert die Ergebnisse einschlägiger Forschungen der Evolutionspsychologie. Diese weisen in der Mehrzahl nach, dass religiöser Glaube im Sinne von Vertrauen, Zuversicht und Zu­kunftshoffnung heilend oder zumindest leidmindernd wirkt und sich so in der Evolution durchgesetzt hat. Daran knüpfte Prof. Dr. Michael Haupts, Bundesbruder und Ärztlicher Direktor des Augusta-Hospitals Anholt, an. Er referierte u.a. anhand von Studien über den Placebo-Effekt die nachweislich gesundheitsförderliche Wirkung religiöser Lebenseinstellungen, wies aber auch auf pathologische und krankmachende Formen von Religion hin. Der Schweizer Theologe und einer der Nachfolger von Hans Küng in Tübingen, Prof. Dr. Urs Baumann, erläuterte am Beispiel der Geschichten über die Blindenheilungen im Markus- und Johannes-Evangelium die Heilkraft des Gottesglaubens, die durch Jesus von Nazareth in den Menschen freigesetzt wurde. Durch seine von Gott her wirkende Ausstrahlung vermochte er Menschen in einem ganzheitlichen Sinne sehend zu machen und buchstäblich zum Aufstehen gegen das zuvor als unabänderlich gedeutete Schicksal zu motivieren. In der Schlussdiskussion wurde diese Sicht von Heil und Heilung durch persönliche Erfahrungen bestätigt. Die von Pfarrer Bernd Weckwerth geleitete Eucharistiefeier zum Thema „Der verwundete Heiland“ bildete den spirituellen Höhepunkt der Tagung.

Auf Wunsch der Teilnehmer wird sich das vom 30. Juni bis 2. Juli 2017 in Salmünster geplante Treffen des AK „Naturwissenschaft und Glaube“ voraussichtlich mit dem Thema „Gedächtnis“ befassen und im Jahr darauf mit neuen rekonstruktiven Möglichkeiten des Menschen durch moderne biomedizinische Technologien.

Glauben und Gedächtnis

„Vom glaubenden Gedächtnis, zum Gedächtnis des Glaubens“ Bericht der 33. Jahrestagung des ND-Arbeitskreis „Naturwissenschaft und Glauben“ vom 30.6.-2.7.2017 im Salmünster

Hinter der Formulierung „vom glaubenden Gedächtnis“ stand die Idee, neue Erkenntnisse zur Funktionsweise des Gedächtnisses zu erfahren aber mit Fokus darauf, in welcher Weise das Gedächtnis „glauben“ braucht bzw. „Glauben“ ermöglicht. Mit dem Begriff „Gedächtnis“ ist im neurologischen Sinne zunächst die Fähigkeit des Nervensystems von Lebewesen gemeint, aufgenommene Informationen zu kodieren, zu speichern und wieder abzurufen, oft auch als Erinnerungsvermögen bezeichnet. Die gespeicherten Informationen sind das Resultat bewusster oder unbewusster Lernprozesse, zu denen in geringerem Maße auch primitivere Nervensysteme von Tieren befähigt sind. Komplexität und Umfang möglicher Gedächtnisleistungen haben im Lauf der Evolution bis hin zum Menschen zugenommen. Sie dienen den Lebewesen dazu sich in ihren jeweiligen Lebensräumen zurechtzufinden und ihre Lebensweisen zu stabilisieren.

„Gedächtnis“ (Gedenken) bezeichnet im gesellschaftlichen Sinne aber auch den bewussten Umgang mit Vergangenheit und Geschichte, die sogenannte Erinnerungskultur. Sie wird in Familien, Vereinen, politischen Institutionen und nicht zuletzt in den Kirchen als wesentlicher Bestandteil des Glaubens gepflegt. Darauf bezog sich der zweite Teil des für diese Tagung gewählten Themas „Gedächtnis des Glaubens“. Inwieweit solche kollektive Gedächtnisformen in der Lage sind, größeren Gruppen der Gesellschaft Orientierung und stabilisierende Identität zu verschaffen, war eine der Fragen, die sich diese Tagung gestellt hatte.

Grundlagen der Gedächtnisforschung (Einführung)

In der Einführung wurden die neurologisch erkannten Gedächtnisarten vorgestellt. Das sogenannte Ultrakurzzeitgedächtnis, umfasst die kaum bewussten, sensorischen Gedächtnisse, die unsere Sinnesorgane unterstützen. Erst sie ermöglichen in einen oft nur Millisekunden dauernden Aufbau, dass ein ganzes Bild, ein ganzes Wort, Gerüche, Geschmacks- oder Temperaturempfindungen ausgebildet werden. Diese werden dann im besser bewusste Kurzzeitgedächtnis zugeordnet, benannt und registriert, soweit sie Mustern, Merkmalen, oder Worten entsprechen, die im Langzeitgedächtnis abrufbar gespeichert waren.

Das mit dem Bewusstsein besonders interagierende Kurzzeitgedächtnis ist dabei nur ein notizblockartiger Zwischenspeicher, der im Mittel nur 5-9 Informationseinheiten gleichzeitig für meist weniger als 1 Minute aufnehmen kann. Diese Beschränkungen lassen sich mit einfachen Tests erkennen. Die Teilnehmer wurden dazu aufgefordert zwei 5-stellige Zahlen aufzuschreiben und dem Nachbar nur 10 Sekunden lang zu zeigen. Nach einer Pause von 20 Sekunden in der man zur Erschwerung auch noch eine Langzeit-memorierte Zahl, z.B. die Postleitzahl seines Wohnortes, aufschreiben kann, sollten die beiden gelesenen 5-stelligen Zahlen wieder notiert werden. Den meisten ungeübten Personen gelingt das nicht. Durch optimiertes Training lassen sich die 3 unterschiedlichen Gedächtnisformen aber so miteinander verbinden, dass der Weltrekord für die in 5 Minuten memorierte und anschließend wiedergegebene Ziffernfolge bei 501 steht.

Das für solche Leistungen oft als fotografisch oder eidetisch bezeichnete Gedächtnis ist die Fähigkeit das in dieser fotografischen Weise arbeitende, visuelle Ultrakurzzeit-Gedächtnis länger zu erhalten. Die darin geübten Gedächtnisse weisen dazu verbesserte Neuroplastizität und erhöhte emotionale Aufmerksamkeitspotentiale auf. Davon zu unterscheiden ist die von Gedächtnisprofis oft genutzte primäre Form des Langzeitgedächtnisses, die sich durch assoziative Memorierungsstechniken (z.B. loci-Methode) optimieren lässt.

Die sekundären bzw. lebenslang gespeicherten tertiären Langzeitgedächtnisinhalten werden u.a. im episodischen Gedächtnis mit Fakten und Ereignisse, die zur eigenen Biographie gehören, gespeichert. In Fällen von personaler Amnesie, wird dieses episodische Gedächtnis gelöscht oder vorübergehend unzugängig, während ein Großteil des semantischen Gedächtnisses erhalten bleibt, in dem sogenanntes Weltwissen eines Menschen, wie berufliche Kenntnisse, Fakten aus Geschichte, Politik und Kultur abgespeichert sind.

Während diese Gedächtnisinhalte durch bewusste, explizite Lernprozesse aufgebaut werden, sind die im prozeduralen Gedächtnis gespeicherten Fertigkeiten, Ergebnis impliziter unbewusster und unbeabsichtigter Lernprozesse. Zu diesen in der Regel auch automatisch, ohne Nachdenken eingesetzten motorischen Abläufe gehören u.a. Fahrradfahren, Schwimmen, Tanzen, Skifahren sowie große Teile des Sprachvermögens. Die dazu nötigen impliziten Lernprozesse können schon im frühen Kindesalter ablaufen, auch wenn wir uns im späteren Leben nicht mehr mit Bewusstsein daran erinnern können, weil die dazu nötigen Voraussetzungen (z.B. zeitlich und örtliche Zuordnung) bis zum Alter von etwa 3 Jahren erst aufgebaut werden müssen.

Während das Abrufen von Gedächtnisinhalten (erinnern) genauso wie das abspeichern (kodieren) am besten im aufmerksamen Wachzustand funktioniert, ist für die Erhaltung und Konsolidierung von Gedächtnisinhalten neben bewusstem Rekapitulieren und Einordnen der Schlaf von essentieller Bedeutung. Wie umfangreiche Forschungsprojekte gezeigt haben, geschieht vor allem in traumlosen Tiefschlafphasen eine Umorganisation von Gedächtnisinhalten die entscheidend für deren langfristiges Erlernen und Erinnern sind. Die Forscher nehmen an, dass auch bei erwachsenen Tieren wie beim Menschen das Gehirn während Tiefschlafphasen besonders plastisch ist, es dann Gelerntes besser neuzuordnen und festzuschreiben vermag.

 

Das evolutiv optimierte Gedächtnis (Hauptreferat)

Besonders der intensiven Zusammenarbeit von Philosophie und Hirnforschung ist es zu verdanken, dass sich aus den immer besser erforschten Gedächtnisleistungen in den letzten Jahren auch differenziertere Vorstellungen darüber ergeben, wie und warum sich diese in der Tierwelt bis hin zum Menschen entwickelt haben. Ein Beispiel dafür ist die in Heidelberg begonnene Kooperation des Philosophen Martin Gessmann mit der bekanntesten deutschen Neurobiolologin Hannah Monyer (u.a. Leibniz-Preisträgerin von 2004). Resultate dieser Kooperation kann man u.a. dem 2015 gemeinsam publizierten Buch „Das geniale Gedächtnis“ entnehmen. Prof. Gessmann, der inzwischen an der Hochschule für Gestaltung in Offenbach lehrt, hat die für die AK-Tagung wichtigsten Aspekte den fast 40 Teilnehmern im Kloster Salmünster vorgestellt.

Das Gedächtnis dient nach seinen Worten keineswegs nur der Vergegenwärtigung der Vergangenheit. Vielmehr hilft es uns, sich in der Gegenwart zu orientieren und den besten Weg in die Zukunft zu beschreiten. In jedem Moment wird das Gedächtnis mit neuen Eindrücken, Erfahrungen und Erkenntnissen überhäuft und gestaltet sich nach geeigneten Regeln und Gewichtungen entsprechend um.

Die Wissenschaft beschreibt die zugehörige Leistungsfähigkeit mit der sogenannten Neuroplastizität. Gemeint sind damit sowohl funktionelle Änderungen in den Synapsen, den neuronalen Zellverbindungen, als auch strukturelle Änderungen einzelner Neuronen bis hin zur Zellgenese. Der bisherige Gedächtniszustand wird dabei teils überschrieben und neugeordnet. In gewissem Umfang werden dabei in allen Bereichen der Erinnerungen Teile vergessen oder in neue Zusammenhänge gesetzt. Schon daher kann es in keinem Erinnerungsbereich eine objektiv festgeschriebene Geschichte geben.

Das wurde noch offensichtlicher mit zunehmenden Belegen dafür, dass Erinnerungen erst durch emotionale Kopplungen realisiert und stabilisiert werden, d.h. unvermeidlich nehmen mit der Zeit, subjektiv selektierte Erinnerungslücken und -umdeutungen zu. Selbst schwer demente Menschen können sich deshalb an emotional berührende Melodien und Texte erinnern, allerdings auch an traumatische Erlebnisse.

Langfristig beeinflussen emotional gekoppelte Erinnerungen die Selbsteinschätzung von Einzelmenschen, aber auch die von ganzen Gesellschaften und Kulturen. Sie bildet mehr oder weniger den „roten Faden“ ihrer Existenz. Aus Sicht der Evolution des Menschen gilt, dass auch mit der speziellen Form des Erinnerns ähnlich wie für andere Organe eine optimierte Basis zu einer Art-erhaltenden Zukunft gefunden wurde.

Die neuen Erkenntnisse zur Arbeitsweise unseres Gedächtnisses führten aus Sicht von Prof. Gessman auch dazu, dass die moderne pädagogische Forschung Lernmethoden entwickelt, die auf emotional fundierte Aufmerksamkeit, Motivation und eine dazu passende Lernumgebung achtet. Der Schlüssel zu einem erfolgreichen Lernen ist dabei vor allem die personale Bezogenheit und narrative Einbettung von Inhalten. Daran knüpfen auch viele sogenannten „Mnemotechniken“ wie z.B. die am längsten bekannte Loci-Methode an.

Am Ende seines Vortrags ging Gessmann noch einmal speziell auf das Tagungsthema ein und bestätigte, dass die hohe Bedeutung emotional berührender Erinnerungen, ein wesentlicher Grund für die religiöse Orientierung des Menschen bereits mit frühsten historischen Funden und Aufzeichnungen gewesen seien. Das gelte auch für die Entwicklung der jüdisch-christliche Religion, die sich durch die sehr emotionale Art der meist erst Generationen später aufgezeichneten Geschichte, eine sowohl nationale wie religiöse Identität geschaffen habe. Der christliche Glaube lebe wesentlich aus dem Gedächtnis an das Leben Jesu, das in emotionalen Geschichten überliefert sei und bis heute in emotional ausgerichteten Riten gefeiert werde.

Erinnerungskultur als Basis einer gemeinsamen Identität (Impulse)

Nachdem die Tagung sich in Anschluss an das Hauptreferat zunächst in kleineren Kreisen u.a. mit der Optimierung und der Erkrankung von Gedächtnissen auseinandergesetzt hat, wurde am Nachmittag aus der Sicht verschiedener Impulse versucht, sich die Bedeutung der Erinnerung für den Aufbau von Identität und Zukunftsgestaltung bewusst zu machen.

Hierzu gehörte ein sprachlicher Impuls, der aus der Wortbedeutung und Herkunft der Wörter eine Idee von Ziel und Zweck von Erinnerungskultur und Gedächtnispflege gab. Ein zweiter Impuls versuchte ausgehend von der Bedeutung des Gedächtnisses als des notwendigen Instrumentes der Orientierung und der Sozialbeziehung zwischen Menschen herzuleiten, wie weit es möglich ist, von einem kollektiven Gedächtnis und einer gemeinsamen Identität zu sprechen. Als zentrales Beispiel hierzu gilt die Umsetzung des Ziels, die jüngeren deutschen Geschichte im kollektiven Gedächtnis auch zukünftiger Generationen zu erhalten.

In einem dritten Impuls wurde versucht, am Beispiel von Zielsetzung und Erinnerungskultur in Heliand und ND darzustellen, in welchem Umfang sich eine eigenständige Identität dieser beiden Verbände entwickeln konnte, bzw. vielleicht gerade wegen der Überalterung bis heute erhalten hat. In einem abschließenden Impuls wurde die Frage der Entwicklung einer eigenen Identität sogar auf das Selbstverständnis des Arbeitskreises „Naturwissenschaft und Glaube“ selbst übertragen. Angesichts immer neuer Erkenntnisse und neuer Techniken, sich in Grundfragen des Glaubens und der Ethik immer wieder neu Orientierung zu verschaffen, gehört seit der Gründung vor mehr als 30 Jahren zur Motivation und speziellen Identität des AKs.

Das gilt insbesondere für die Spiritualität, die angesichts von weltbildlicher Neuorientierung auch eine Weiterentwicklung der geistigen Dimension bedarf, was soweit nötig auch im Gottesdienst der Tagung erkennbar werden soll. Davon war auch das gewählte Thema „Tut dies zu meinem Gedächtnis“ nicht ausgeschlossen. Die großen Veränderungen im historischen Jesusbild, wie auch in der rituellen Form des gefeierten Gedächtnisses, zeigen, dass es nie um einen objektiv festgeschriebenes Gedächtnis ging und dass Dogmen immer nur den historischen Rahmen einer bestimmten Zeit widerspiegelten. Gerade die Erkenntnis der emotionalen Kopplung von Gedächtnisinhalten sollte deutlich machen, dass religiöse Wahrheiten schon immer subjektiver Natur waren und sich daher auch für das kollektive Gedächtnis des Glaubens keine vermeintliche Objektivität, sondern einfach nur Glaubwürdigkeit anzustreben ist.

Naturalistischer Atheismus contra Gottesglauben

Naturalistischer Atheismus contra Gottesglauben

Bericht vom Treffen der ND-Westregionen 2018
Mit 60 Teilnehmern voll besetzt war der Saal im 5. Stock des Kölner Domforums als mit Blick auf den Dom einige für den christlichen Glauben im 21.Jahrhundert mögliche Schicksalsfragen diskutiert wurden. Es ging um die Herausforderung, die der moderne Naturalismus für die zunehmende Abwendung vom Gottesglauben in Deutschland bzw. im gesamten christlichen Abendland darstellt.

Wie der Leiter des AK Naturwissenschaft und Glaube, Dr. Gerd Weckwerth, in seinem Einführungsvortrag herausstellte, hat sich seit 1970 der Anteil der Konfessionslosen in Deutschland von 4% auf über 37% erhöht. Etwa ⅔ davon verstehen sich heute als Atheisten. Sie sind kaum organisiert und lassen sich nach Aussage Weckwerths auch kaum als homogene Gruppe beschreiben. So gibt es eine mit christlichen Fundamentalisten vergleichbare, sehr auffällig agierende Form starker Atheisten bzw. eine sich als Anti-Theisten verstehende Richtung. Hohe Aufmerksamkeit erregte z.B. die in mehreren Hauptstädten 2008/2009 mit atheistischen Thesen beschrifteten Busse und der 2006 erschienene Bestseller des englischen Biologen Richard Dawkins „der Gotteswahn“.

Daneben gibt es atheistische Agnostiker, die die Frage nach der Existenz Gottes lediglich für unbeantwortbar halten. Andere sehen die Frage als bedeutungslos für das Leben oder ohne konkretes Gottesbild als nicht zu entscheiden an. Viele Agnostiker bleiben dennoch bei einer weitgehend gottgläubigen Lebensweise, die sich kaum noch von der modernen Christen unterscheidet, für die Glaubensfreiheit und Glaubenszweifel fast wie selbstverständlich dazugehören.

Als geistige Basis des Atheismus beschrieb Weckwerth den bereits in der Antike erwähnten Naturalismus. Dieser beginnt sich mit Einsetzten der Neuzeit vom damals zunehmenden Glauben an übernatürliche Einflüsse abzuwenden. Stattdessen orientiert sich der Naturalismus zunächst vor allem an humanistischen Werten und im 20. Jh. zunehmend an den reduktionistischen Naturvorstellungen der Naturwissenschaften. Nach Auseinandersetzung mit antievolutionistischen Tendenzen im Christentum verlagerte sich der Fokus an der Schwelle zum 21. Jahrhunderts besonders auf eine auch Geist und Erkenntnis als Produkte rein materieller Entwicklungsprozesse einstufenden Weltsicht.

Wesentliche Beiträge hierzu lieferte auch eine evolutionäre Erkenntnislehre, die der als Referent eingeladene Physiker und Philosoph Gerhard Vollmer bereits 1975 erstmals publizierte hat. Weckwerth beschrieb die zugehörigen Einsichten als eine weitere Kränkung menschlichen Selbstverständnisses

Ins Zentrum seines Vortrags Ist der Gottesglaube entbehrlich? Antworten aus Sicht eines Naturalisten“ stellte Prof.emer. Dr. Dr. Gerhard Vollmer 12 Thesen zum Naturalismus als eine Art Credo ohne Gott. Darin bekannte er sich zu Realismus und den Naturwissen-schaften, die er als erfahrungswissenschaftl. Methode allen anderen überlegen sieht. Der Metaphysik möchte er dagegen nur noch so viel Raum wie unbedingt nötig einräumen.

Die reale Welt ist für ihn nach anderen Thesen energetisch,kausal zusammenhängend und in einem quasi-kontinuierl., evolutivem Auf- und Abbau. Alle davon abweichende Wunder in Form größerer Sprüngen oder äußerer Eingriffe sieht er bis zum Beweis gegen-teiliger Erfahrungen als nicht gegeben. Das gilt für ihn auch für außersinnliche Wahrnehmungen und über die Natur hinausweisende Einsichten. Er hält sie zur Erklärung und Deutung der Welt für entbehrlich, auch wenn er manche transzendente Annahme für denkbar hält und ihre positiven Wirkungen auf Menschen durchaus einräumte.

Zu seinen im Hirschberg (2018/1) ausführlicher dargestellten Thesen versuchte Vollmer im 2. Teil seines Vortrags die stärksten Unvereinbarkeiten mit religiösen Überzeugungen zu benennen. Eher strittig oder veraltet schien aber, was er hierbei als heute einvernehml. religiöse Positionen einsetzte. Dualistische Sicht von Leib und Seele, sowie teleologisch, deterministische Vorstellungen mit nur über Gott begründbaren Moralvorstellungen passen auch kaum noch zu der von Vollmer als typisch religiöse Vorstellung eingeräumten Willensfreiheit, speziell nach den Reformen der 60er Jahre (z.B. im II. Vatikanum).

Noch deutlicher in der Kritik an den Prämissen des neuzeitlichen Atheismus vor allem in Bezug auf die Gottesvorstellung wurde der Kölner Prof. für Systematische Theologie und Religionsphilosophie, Dr. Hans-Joachim Höhn, in seinem Vortrag „Antwort der Theologie auf den naturalistischen Atheismus und dessen Herausforderungen“. Er wirft Vertretern des neuzeitl. Atheismus (Dawkins, Harris, Dennet) vor, dass sie Überlegenheit nur gegenüber religiösen Auffassungen und Praktiken zu demonstrieren versuchen, für die innerhalb der Religionen kaum noch seriöse Verteidiger zu finden sind, bzw. nur solche, die sich kaum um das „Reflexionsniveau der Moderne in der Rede von Gott“ bemühen.

Für Höhn ist ein machtvolles Gottesverständnis von Grund auf verfehlt, das sich für innerweltliche Fragen instrumentalisieren lässt. Schon Jesus habe sich mit dem Verweis auf die Unverfügbarkeit Gottes gegen alle Versuchungen dieser Art gewehrt. Das grund-lose Dasein der Welt und das Handeln Gottes tragen ihren Zweck in sich selbst und das gehe einher mit dem bedingungslosen Freigelassensein des Menschen ins eigene Dasein.

Noch grundsätzlicher sieht Höhn Gott als den Unterschied zwischen Sein und Nichts, ohne den alles, was ist, nicht sein könnte. Er versucht so auch theologisches Fragen nach dem Anfang des Daseins von dem naturwissenschaftl. Ursprungsfragen zu unterscheiden. Während Letztere danach frage, wie etwas aus Anderem hervorgehe (principium), frage die Theologie nach Gründen, warum es überhaupt etwas gebe (initium). Aus Höhns Sicht gäbe es zwar keine Überlappung beider Fragen, aber eine Tangente durch den Berührungspunkt zwischen initium und pricipium, auf der man sich bewege, wenn man über die Möglichkeit nachdenke, Schöpfung, Sein und Sinn zusammen zu denken.

Vor der Diskussion der Vorträge am Nachmittag gab Weckwerth noch einige Anmerkungen aus Sicht des AK „Naturwissenschaft und Glaube“. Er begann mit dem Befund, dass eine auf die Bedürfnisse der Geschöpfe abgestimmte Schöpfung als Beleg für die Existenz eines Schöpfers wertlos geworden sei. Vielmehr seien im Rahmen eines heute detailreich belegten Evolutionsverlaufs umgekehrt die Geschöpfe an die jeweils existierende Schöpfung angepasst worden.

Das führe zur Frage nach den dazu hinreichenden Bedingungen des Anfangs, auch wenn einige beim Urknall völlig aus dem Ruder zu laufen scheinen. Unstrittig sei lediglich, dass es seit den Anfangssekunden und -minuten eine große Zahl unveränderter Kostanten und Gesetze gäbe, ohne deren Feinabstimmung die Evolutionsbefähigung dieser Materie äußerst unwahrscheinlich wäre. Das mache es wiederum wahrscheinlich, dass die Anfangsbedingungen gerade nicht gewürfelt seien, sondern Resultate eines Auswahlprozesses darstellen.

Das a posteriori Argument der Physik, dass wir ohne äußere Eingriffe nur in einer Welt mit geeigneten Bedingungen entstehen konnten, lasse wegen der dafür erkennbar nötigen Präzision Rückschlüsse auf ein jenseitig existierendes Multiversum zu, von dem viele oder gar alle möglichen Anfangsbedingungen zur Verfügung gestellt sind. Das deute an, dass die Frage, warum überhaupt etwas existiert, sich kaum von Potentialen dessen was existiert, trennen lässt.

Potentiale öffnen den Freiraum für kausale Ursache-Wirkungsketten ohne umgekehrt letzte Rückverfolgungsmöglichkeit z.B. für Ursachen und Zwecke zu erlauben. Das gelte nicht nur für den Urknall, sondern eingeschränkt auch an den Flaschenhälsen der universellen Evolution, wie sie Gegenstand mancher Tagungen des AK-Naturwissenschaft und Glaube waren. Nach Ansicht Weckwerths zeige das die enge Verzahnung und Überlappung initialer und kausaler Fragestellungen nicht nur in der Theologie, sondern für alle Wissenschaftsbereiche.

Die Tagung endete mit einem thematisch vorbereiteten Gottesdienst, der die wechselseitigen Herausforderungen von Natur und Gottesglauben u.a. durch biblische Texte und Lieder mit allen Sinnen erspüren und erfahren ließ.

Schöpfungswand2018

Thema: NATUR ERLEBEN – NATUR  SCHÜTZEN
Rund 20 Teilnehmer erlebten sonnigen Wandertag
Nachdem wir in den letzten Jahren die drei anderen Heideportale besucht haben, war in diesem Jahr das 4. Heideportal auf der Burg Wissem in Troisdorf und die südl. Wahnheide unser Ziel. Nach einem kurzen Marsch zum ausgemachten Treffpunkt brachte uns ein alter Schweizer Postbus nach einer Fahrt mitten durch die Wahnheide über Altenrath nach Troisdorf. Auf der Burg Wissem konnten wir dann die für das Fest zum 1. Mai aufgebauten Stände und zwei aus diesem Anlass gratis zugängliche Museen besichtigen. Nach dem Mittagessen im Quattro Passi ging es durch den Park der Sinne vorbei am Schützenhaus bis zur Eremitage, den Resten eines vor ~200 Jahr vom Erzbistum Köln aufgehoben und abgerissenen Klosters. Den Abschluss bildete eine kurze Andacht in der evang. Kirche unweit des im Umbau befindlichen Bahnhofs, von wo es mit ÖPNV zurück zur Endhaltestelle der Linie 9 ging.

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