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Bericht: Nahtoderfahrung und Evolution

Gemeinsame Tagung des AK Naturwissenschaft und Glaube und der ND-Region Münster Hamburg Osnabrück

Unter dem Thema „Nahtoderfahrungen und Evolution“ trafen sich vom 24. – 26. 2. 2023 etwa 40 Teilnehmer in der Akademie Franz Hitze Haus in Münster zu einer informativen wie auch emotional bewegenden Wochenendtagung.

Das galt insbesondere für die Berichte von 4 Bundesgeschwistern, die am Freitagabend von ihren ganz persönlichen Nahtoderlebnissen (NTE) erzählten. Obwohl diese zum Teil schon Jahrzehnte zurücklagen, schilderten sie das Erlebnis so farbig und ergreifend, als wäre es erst gestern gewesen. Dabei bekannten sie meist sehr offen, wie prägend das Erlebnis für ihren weiteren Lebenslauf war. Das bestätigten auch die Berichte von 2 Personen mittleren Alters aus Bayern, die in einem aktuellen Video der katholischen Medienzentrale ihre NTE vorstellten. Übereinstimmend erklärten alle Betroffenen, dass sie durch das Erlebnis früher bestehende Ängste vor dem Tod verloren hätten und heute mit großer Gewissheit an ein Weiterleben in einer gewandelten Form glauben.

Am Samstagmorgen stellte Dr. Gerd Weckwerth, einer der Leiter des AK, eine von ihm entwickelte Theorie zum Ursprung der bei weltweit ~5% aller Menschen auftretenden NTE vor. Nach dieser Theorie handele es sich um ein ganz natürliches, im Rahmen der Evolution des Menschen entstandenes Phänomen. Die durch zunehmendes Selbstbewusstsein verstärkte Wahrnehmung des Todes habe beim Urmenschen in lebensgefährlichen Situationen zu einer oft lähmenden Todesangst geführt. Diesem vor allem im Überlebenskampf mit weniger selbstbewussten Lebewesen nachteiligen Effekt hätten nach Weckwerths Theorie die in Todesnähe erscheinenden Bilder entgegengewirkt, die sich als Übergang und Weiterleben in eine jenseitige Welt deuten ließen. Durch evolutive Selektion hätte sich immer realistischer und vielfältiger die Deutung, dass der Tod nicht das Ende einer Person ist, verstärkt. Dazu kam, dass solche Bilder erst durch körperliche Notlagen wie Sauerstoffunterversorgung ausgelöst und daher stets in Verbindung mit dem Tod gebracht wurden.

NTE könnte daher als eine Art „Todesangstüberwindungsprogramm“ angesehen werden, das die Vorstellung eines Lebens nach dem Tod benutzt und zugleich gefördert hat. Einen Beleg dafür sieht Weckwerth in Grabbeigaben, die als älteste Zeugnisse menschlicher Religiosität gelten. Heutige NTE sind seines Erachtens aber nur noch ein Relikt aus der Zeit der Entstehung des Menschen, eine Art „Fingerspur der Hominisation“. Sie passe gut zu einem modernen Schöpfungsglauben, nach dem „Gott die Welt so gemacht hat, dass sie sich macht“ (Teilhard de Chardin).  Seine Theorie biete im Gegensatz zu esoterischen Deutungen zumindest einen Ansatz für mögliche gemeinsame Untersuchungen von Religions- und Evolutionswissenschaft.

Ein zweiter Vortrag am Samstagnachmittag von Bundesbruder Prof. em. Dr. Ulrich Lüke befasste sich mit Möglichkeiten der Deutung von „out-of-body-Erfahrungen“, die bei NTE häufig auftreten. Einerseits gebe es die grob materialistische Vorstellung, dass der Geist das Produkt des Gehirns sei, ähnlich wie der Urin das Produkt der Nieren. Das andere Extrem sei die Auffassung, dass die von Gott geschaffene, unsterbliche Geist-Seele, sich des menschlichen Leibs in seiner Erdenzeit nur bediene, bis dahin, dass der Körper nur eine Erscheinungsform des Geistes sei. Die Frage nach geistigen Phänomenen wie Bewusstsein oder Freiheit und auch die Frage nach der Möglichkeit real erlebter NTE werde heute in der Wissenschaft meist mit Hinweis auf die Äquivalenz von Geist und Gehirn beantwortet. Das alles sei nur das „Feuern von Neuronen“. Derartige Positionen würden aber dem komplexen Phänomen Mensch nicht gerecht.

Selbstverständlich sei eine vielfältige Determination des Menschen durch seinen Körper und durch seine neurophysiologische Konstitution anzunehmen, wie z.B. beim sog. Libet-Experiment. Neben diesem objektiven Blick von außen (Es-Perspektive), könne sich der Mensch aber aus der Perspek­tive der ersten Person (Ich-Perspektive), dennoch frei sehen. Diese sei nicht 1:1 in die Sprache der Neurophysiologie übersetzbar, sondern deren Vokabular reiche nicht aus, um das Ganze der menschlichen Person zu erfassen. Lüke verwies auf anschauliche Beispiele perspektivistischer Deutung. So sei eine Ansammlung von Wasserdampf von außen eine Wolke, von innen jedoch Nebel. Auch sei die Partitur eines Musikstücks, abgesehen von der codierten Sprache, nicht identisch mit der intersubjektiv vermittelten, real erklingenden Musik. Die Naturwissenschaft tue gut daran, die Grenzen ihrer Methoden zu akzeptieren und jenseits dieser Methoden kein Wissen zu suggerieren, über das sie nicht verfüge.

Im abschließenden von Kurt Schanné moderierten Podiumsgespräch zwischen Lüke und Weckwerth, zeigten sich gewisse Unterschiede im Hinblick auf die Einschätzung der Reichweite wissenschaftlicher Erkenntnis. Während Lüke darauf insistierte, dass es Fragen gebe, auf die wir niemals eine Antwort finden werden, sieht Weckwerth eher eine schrittweise Verschiebung von Horizonten der Erkenntnis. Am Ende steht also die Frage: Können wir prinzipiell nicht wissen und werden auch nie wissen, was z.B. Bewusstsein ist, oder wissen wir es noch nicht? Die Forschung jedenfalls geht auch an der Schnittstelle von Glauben und Wissen, von Transzendenz und Immanenz weiter.

Dies wurde auch beim Resümee der Tagung deutlich, das am Sonntagmorgen gemeinsam gezogen wurde. Dabei wurden auch die Ergebnisse aus 3 vormittäglichen Arbeitsgruppen am Vortag vorgestellt. Sie drehten sich um die Aktualität der philosophischen Tradition des Leib-Seele Problems, um den Umgang mit dem Sterbeprozess sowie um die Ziele von Religions- und Evolutionswissenschaften.

Die Tagung endete in einer Eucharistiefeier mit Pfr. Bernd Weckwerth unter dem Thema „Wurmloch zum Himmel?“. In den Texten des Tages (AT: Der sog. „Sündenfall“; NT: Die Versuchungen Jesu in der Wüste) klangen nochmals Motive der Tagung an. So wurde deutlich, dass auch Wissen eine Versuchung sein kann, mit der wir in der rechten Weise umgehen sollen. Es hängt an uns, ob wir unser Wissen zur Lösung der großen Weltprobleme nutzen oder zum Machterhalt, d.h. meist zerstörerisch einsetzen.

Der Arbeitskreis wird sich vom 21.-23. Juni 2024 mit neuen Entwicklungen der Künstlichen Intelligenz und ihren Auswirkungen auf das Selbstverständnis und die Lebenswelt der Menschen befassen.
                                                                                               Kurt Schanné und Gerd Weckwerth  

ND-Westregionen 2018

Treffen der ND-Westregionen  Sa., 15. Sept. 2018    im  Kölner Domforum (5. Stock)
Der naturalist. Atheismus als Herausforderung für den Gottesglauben

10:00 Uhr   Begrüßung und Einführung  in die Thematik durch Dr. Gerd Weckwerth

10:30 Uhr    Ist der Gottesglauben entbehrlich? Antworten aus der Sicht eines
Naturalisten   Prof. Dr.Dr. Gerhard Vollmer (Physiker und Philosoph)

11:30 Uhr     Die Antwort der Theologie auf den naturalistischen Atheismus und
dessen Herausforderungen  Prof. Dr. Hans Joachim Höhn, Köln

12:30 Uhr     Mittagszeit – Verpflegung im Umfeld des Domes

14:00 Uhr     Dr. Gerd Weckwerth: Anmerkungen aus Sicht des Arbeitskreises
„Naturwissenschaft und Glaube“

14:30 Uhr     Podiumsdiskussion der Referenten
Moderation: Karl Heinz Paulus1

17:00  Uhr    Wortgottesdienst

Teilhard-Zitate

Der Geist in der Materie

das Herz der Materie (Motto)    im gelben Teilhard Lesebuch gTL mit Erklärung Schiwys S.13
Im Herzen der Materie
Ein Herz der Welt
Das Herz eines Gottes
Geist-Materie       aus Skizze eines personalen Universums 1936  Zusammenhang S. 17 im gTL
Es gibt auf der Welt weder Geist noch Materie, sondern  nur geistwerdende Materie. Keine andere Substanz vermöchte das menschliche Molekül zu ergeben.
Die zwei Gesichter der Materie  Der göttliche Bereich 1927, S.20 im gTL  (wenn nicht am Morgen)
Einerseits ist sie die Last, die Kette, der Schmerz, die Sünde und die Bedrohung unseres Lebens.
Die Materie machte schwerfällig, leidet, verletzt, versucht und altert.
Durch die Materie sind wir plump, gelähmt, verwundbar und schuldig,
Wer erlöst uns von diesem Körper des Todes
Aber die Materie ist gleichzeitig auch die körperliche Freude,   die Berührung, die erhöht,
die Anstrengung, die männliche Kraft verleiht und die Freude am Wachstum.
Die Materie zieht an, erneuert, vereinigt und blüht. Von der Materie werden wir genährt,
emporgehoben, mit dem Übrigen verbunden und vom Leben durchdrungen. Ihrer beraubt zu sein ist uns unerträglich
eine große Liebe zur Erde Tagebuch 1916  S.15 im gTL
In mein Streben zu Gott mischt sich eine große Liebe zur Erde und ihrem greifbaren Werden, und mir scheint, diese beiden Leidenschaften müssen sich verbinden. Die letztere muss nur gereinigt und rehabilitiert werden.
Könnte man das unter dem Terminus Materie begreifen?  Tagebuch 1916 S.17 im gTL
In unserem Leib werden die Zellen von den Gesetze des Gesamtorganismus beherrscht, d.h. von der Seele, für sie findet der Einfluss des „Geistes“ also seinen Ausdruck im Zusammenhang.
Ebenso ist das heilende und aspirierende Einwirken Gottes auf die Seele ein Zusammenschluss und ein Wiederzusammenschluss.
Hymnus an die Materie  aus   Lobgesang des Alls 1919 in  die geistige Macht der Materie
Saft unserer Seelen, Hand Gottes, Fleisch Christi, Materie ich segne dich.
Ich grüße dich, nicht so, wie dich die hohen Herren der Wissenschaft und die Tugendprediger verkürzt oder entstellt beschreiben. Eine Zusammenhäufung, so sagen sie, brutaler Kräfte oder niedriger Neigungen – sondern so, wie du uns heute erscheinst, in deiner Totalität und in deiner Wahrheit.
Materie und Geist:               aus   Herz der Materie 1950,  S. 42f)
gar nicht zwei Dinge, – sondern zwei Zustände, zwei Gesichter ein und desselben kosmischen Stoffes, je nachdem man ihn betrachtet oder in der Richtung verlängert, in der (wie Bergson sagen würde) er sich bildet – oder im Gegenteil in der Richtung, in der er sich auflöst.

Evolution der Liebe und die Ursache des Leids

Was ist Evolution?     aus   Der Mensch im Kosmos 1939 Die Evolution sollte nichts als eine Theorie, ein System, eine Hypothese sein? Keineswegs! Sie ist viel mehr! Sie ist die allgemeine Bedingung, der künftig alle Theorien, alle Hypothesen,      alle Systeme entsprechen und gerecht werden müssen, sofern sie denkbar und richtig sein wollen. Ein Licht, das alle Tatsachen erleuchtet, eine Kurve, der alle Linien folgen müssen, das ist Evolution.

Zur Kosmogenese des Lebens  aus Die Vielheit der bewohnten Welten 1953 Nach allem, was wir heute über die Zahl der Welten und ihre innere Evolution wissen, ist die Idee eines einzigen hominisierten Planeten innerhalb des Universums faktisch bereits fast ebenso undenkbar geworden, wie die eines ohne genetische Beziehung zu den übrigen Lebewesen der Erde auftretenden Menschen.
Die Schwelle des Lebens     aus   Der Mensch im Kosmos 1939  S.60
Genauso wie der Mensch nach Ansicht der Paläontologen anatomisch mit der Masse der ihm vorausgehenden Säugetiere verschmilzt, so ertrinkt die Zelle qualitativ und quantitativ in der Welt der chemischen Gebilde, wenn man sie in absteigender Richtung verfolgt.
Unmittelbar nach rückwärts verlängert, konvergiert sie sichtbar mit dem Molekül.

Evolution des Erkennens     aus Der Mensch im Kosmos 1939
Man muss nicht unbedingt ein Mensch sein, um die Dinge und die Kräfte um uns herum wahrzunehmen. Alle Tiere vermögen dies ebenso wie wir. Doch der Mensch allein nimmt in der Natur eine solche Stellung ein, dass die Konvergenz der Linien nicht nur von ihm gesehen wird, sondern auch strukturelle Bedeutung hat.
Kritischer Punkt  Auswahl aus dem Werk 1964
Wie der Dampf, der sich ohne Änderung der Temperatur in eine kochende Flüssigkeit verwandelt, folgt das Denken auf das unreflektierte Leben, in dem es durch einen Zustandwandel eine Schwelle überschreitet. Etwas Derartiges war gewiss seit der anfängl. Kondensierung des Vorlebens in unserer Welt nicht geschehen.
Leiden als Preis des Fortschritts    Die menschliche Energie, 1937
Die Welt ist auf unserer Stufe, wie sie sich in der Erfahrung zeigt, ein unermessliches Tasten, ein unermessliches Suchen, ein unermesslicher Angriff: sie kann ihren Fortschritt nur um den Preis vieler Mißerfolge und vieler Wunden erzielen. Die Leidenden,welcher Art ihre Leiden auch seien, sind der Ausdruck für diese herbe, aber edle Bedingtheit. Sie stellen keine nutzlosen oder geminderten Elemente dar. Sie zahlen lediglich für den Vormarsch und den Triumph aller. Sie sind auf dem Felde der Ehre Gefallene.
Universum des Leides                      Der Mensch im Kosmos,1939
Ein Universum, dass sich einrollt, sagte ich – ein Universum, das sich verinnerlicht: aber eben damit auch ein Universum der Mühsal, ein Universum der Sünde, ein Universum des Leides…
Ordnung und Zentrierung: diese beiden eng miteinander zusammenhängenden Formveränderungen lassen sich, wie die Ersteigung einer Bergspitze, oder die Eroberung der Lüfte, nur dann richtig durchführen, wenn man sie teuer bezahlt; – wenn wir wüssten, aus welchen Gründen und nach welcher Taxe, so hätten wir das Geheimnis der Welt um uns durchdrungen.
Rückverfolgung unseres Seins        Das göttliche Millieu 1926-1927
Alles Wahrnehmbare nährt sich kontinuierlich aus den zahllosen Energien der greifbaren Welt. Machen wir, es lohnt die Mühe, die heilsame Übung, die darin besteht, im Ausgang von den personalisiertesten  Bereichen unseres Bewusstseins die Verlängerung unseres Seins durch alle Bereiche hin zu verfolgen. Wir werden aufs höchste erstaunt sein, wenn wir die Ausdehnung und die Innigkeit unserer Beziehungen zum Kosmos feststellen
Evolution hat eine Richtung Der Mensch im Kosmos  1939
Unter den zahllosen Abwandlungen, in die sich das komplexer werdende Leben zerteilt, hebt sich die Differenzierung der Nervenzellen als eine bezeichnende Umformung ab – wie die Theorie es vorraussehen lies. Sie gibt eine Richtung – und beweist dadurch, dass die Evolution eine Richtung hat. Von außem gesehen zeigt die Naturgeschichte der lebenden Wesen, sofern sie in ihrer Totalität betrachtet wird, und jeder Zweig von Anfang bis Ende, die stufenweise Ausbildung eines unermesslichen Systems von Nerven; von innen entspricht dem etwas Seelisches, das sich einrichtet und ausdehnt bis auf das Größenmaß der Erde
Der Mensch als Beschleuniger der Evolution   Das Auftreten des Menschen, 1923
Da sie sich im Menschen in sich selbst reflektiert, wird die Evolution sich nicht nur ihrer selbst bewußt. Gleichzeitig wird sie in gewissem Maße fähig,sich selbst zu leben und zu beschleunigen.

Die Mystik der Wissenschaft

Die Unverzichtbarkeit des Liebesgebots aus die menschliche Energie 1937
Seitdem sich unserem Geist einerseits die Existenz der Noosphäre und andererseits die vitale Notwendigkeit, in der wir uns befinden, sie zu retten, enthüllt hat, spricht die Stimme immer gebietender. Sie sagt nicht nur: „Liebet Euch, um vollkommen zu sein“ vielmehr fügt sie hinzu: „Liebt Euch, oder Ihr geht zugrunde“

Wissenschaft und Christus   aus  Die Wissenschaft und der Christ 1921
Die Wissenschaft allein kann Christus nicht entdecken, aber Christus erfüllt die Wünsche, die in unserem Herzen in der Schule der Wissenschaft wachsen.
Meine Berufung   Tagebuch-Eintrag am 8.11.1916
Persönlich scheint es meine Berufung, mein Schicksal zu sein, die aktiven und passiven Energien des Universums zu feiern, zu rechtfertigen, zu heiligen – und noch spezieller das menschliche Bemühen … Das Milieu der Heiligkeit, das um die Seelen meiner Zeit herum zu schaffen ich beitragen möchte, ist der Kult des evolutiven Milieus, das sie trägt und das sie in ihrer Gesamtheit konstituiert…
Die Rettung der Natur                     1954?
Der Mensch muss an Stelle des natürlichen Gleichgewichts ein neues schaffen und das unter Zeitdruck
Die Unsicherheit über ein befriedigendes Endziel Der Mensch im Kosmos 1939
Die tiefste Wurzel der Unruhe in der modernen Welt, kann ich jetzt hinzufügen, besteht darin, nicht sicher zu sein und nicht einmal zu sehen, wie man sich sicher sein könnte, dass es ein Endziel gibt – das befriedigende Endziel dieser Evolution.
Maschine Menschheit und die Person         Der Mensch im Kosmos 1939
Es ist unmöglich daran zu zweifeln: Die große Maschine der Menschheit ist zum Funktionieren bestimmt – und sie muss funktionieren und einen Überfluss an Geist erzeugen. Wenn sie nicht funktioniert, oder vielmehr wenn sie nur Materie erzeugt, dann arbeitet sie eben in einer falschen Richtung.
Sollten wir vielleicht in unseren Theorien und in unseren Handlungen die Stelle übersehen haben, die der Person gebührt und den Kräften der Persönlichkeitsbildung?
Fortschritt  Bemerkungen zum Fortschritt 1920
Der Fortschritt ist weder Wohlergehen noch Friede, weder Ruhe noch unmittelbar Tugend. Im Wesentlichen ist Fortschritt eine Kraft, die gefährlichste aller Kräfte. Es ist das Bewusstsein von allem was ist und von allem was sein kann. Auch wenn man alle Entrüstung wecken und alle Vorurteile verletzen müsste, es muss gesagt werden, weil es wahr ist: Mehrsein ist zunächst Mehrwissen.
Glaube an die Unfehlbarkeit des Lebens        Der Mensch im Kosmos 1938
Das Universum hat in seiner Gesamtheit ein Ziel und kann nicht scheitern
Es kann sich weder im Weg täuschen, noch unterwegs stehen bleiben
Das Leben ist in seiner Gesamtheit ist unfehlbar, nicht jedoch in seinen Elementen   —  Ein Gefühl das überwunden werden muss, die Hoffnungslosigkeit.

Die Konvergenz der Noogenese                 Die lebendige Macht der Evolution, 1940-46
Die kollektive Cerebralisation (im Stadium der Konvergenz) benützt die Schärfe ihrer gewaltigen geistigen Kräfte dazu, das Gehirn des einzelnen zu vervollständigen und anatomisch zu vervollkommnen. Zunächst vervollständigen: Ich denke hier an die erstaunliche Leistung der Elektronenautomaten (die ersten Ergebnisse und die große Hoffnung der noch jungen ‚Kybernetik‘). Diese Apparate ersetzen und vervielfachen das Rechen- und Kombinationsvermögen des menschlichen Geistes.

Intentionale Zufälligkeit Ignace Lepp: Die neue Erde -Teilhard de Chardin und das Christentum..1962 
Das Leben befindet sich in ständigem Wachsen, es sucht, „gleichsam tastend“, neue Wege, und es benimmt sich bei alledem nicht anarchisch, sondern es folgt dem Gesetz einer „intentionalen Zufälligkeit“. Die allgemeine Richtung scheint auf eine immer größere „Zerebralisierung“ hinzuzielen. Der Übergang von der Biosphäre zur Noosphäre, das heißt, zum Bereich des Geistes, liegt offenbar in der inneren Logik des Lebens.
Umkehr der Entropie     aus   Das menschliche Phänomen 1930
Wir haben die etwas kindische Gewohnheit angenommen, das endgültige Gleichgewicht, die Festigkeit der Welt auf Seiten der wahrscheinlichsten Verbindung zu setzen. Wer weiß, ob wir nicht gut daran täten, die Stufenleiter unserer Werte von einem Ende zum anderen umzukehren,das heißt, ob die wahre Stabilität, die wahre Konsistenz des Kosmos nicht in der Richtung zu suchen wäre,in der das Unwahrscheinliche wächst.
Das atomare Feuer und das Gottesproblem     zum geistigen Widerhall der Atombombe 1946       
Die letzte Wirkung des Lichts, das durch das atomare Feuer in die psychischen Tiefen der Erde geworfen wurde, besteht letztlich darin, als Letztes und Höchstes die Frage nach einem Ziel der Evolution, das heißt das Gottesproblem aufzuwerfen..
Die Welt als unermeßlicher Gong       aus „Briefe an eine Marxistin“ 1926
Es gibt wirklich einen musikalischen, christlichen Ton, der die ganze Welt als einen unermeßlichen Gong im göttlichen Christus schwingen läßt. Dieser Ton ist einzig und universell; und in ihm allein besteht das Evangelium. Er allein ist wirklich [glücklicherweise]. Und damit ist es unvermeidlich, daß die Menschen bei dem Versuch, seine Wirklichkeit zu fixieren und zu erfassen, ihn analysieren, soweit das Auge reicht [wie es die Physiker mit den göttlichen Nuancen der Töne und Farben tun.]

Vollendung im Punkt Omega, dem Christus Universalis

Christogenese     aus  französische Texte 1969 Band 9, verfasst 1934
Die Evolution macht Christus möglich, indem sie der Welt eine Spitze entdeckt –  ebenso macht Christus die Evolution möglich, indem er der Welt einen Sinn gibt. Anders ausgedrückt: Christus muss für seine Vollendung eine Spitze der Welt finden, wie er für seine Empfängnis eine Frau finden musste.
Omega und Evolution
Omega, in dem alles konvergiert, ist umgekehrt das, von dem her alles ausstrahlt. Es ist unmöglich, es als einen Brennpunkt an die Spitze des Universums zu stellen, ohne zugleich seine Gegenwart in das Innerste der geringsten Bewegung der Evolution zu verlegen.
Die Wirkung von Omega      Der Mensch im Kosmos, 1939      (1964) S. 287 f
Wenn Omega hingegen, wie wir angenommen haben, schon gegenwärtig existent ist und im Tiefsten der denkenden Masse wirkt, dann ist es wohl unvermeidlich, dass sich seine Existenz schon jetzt unserer Beobachtung durch gewisse Anzeichen zu erkennen gibt. Um die Evolution in den unteren Stadien anzuregen, konnte der bewusste Pol der Welt natürlich nur biologisch verhüllt in unpersönl. Form wirken. Jetzt aber ist es ihm möglich, auf die denkenden Wesen, die wir geworden sind, von Zentrum zu Zentren zu strahlen – auf persönliche Weise. Wäre es wahrscheinlich, dass er dies unterließe? …
Omega als lebendige Wirklichkeit    Der Mensch im Kosmos, 1939
Das Universum vollendet sich in einer Synthese der Zentren, in vollkommener Übereinstimmung mit den Gesetzen der Vereinigung. Gott Zentrum der Zentren. In dieser endgültigen Schau gipfelt das christliche Dogma – Das trifft so genau den Punkt Omega, dass ich gewiss niemals gewagt hätte, auf rationale Weise die Hypothese von Omega ins Auge zu fassen und zu formulieren, wenn ich nicht in meinem gläubigen Bewusstsein sein ideelles Bild vorgefunden hätte, ja noch mehr: seine lebendige Wirklichkeit.
Die Umgestaltung des Kosmos     Mein Universum 1924
Wir brauchen uns nicht den Kopf darüber zu zerbrechen, wie die gewaltige materielle Größe des Universums jemals vergehen könnte. Es genügt, dass der Geist sich umkehrt, dass er den Bereich wechselt, damit sich sofort das Gesicht der Welt ändert.
Die Transzendenz von Alpha und Omega    Die Entstehung des Menschen 1949
Der erwähnte Punkt Omega liegt streng genommen – und darin gleicht er dem Ur-Atom Lemaitres -, außerhalb des der Erfahrung zugänglichen Prozesses, dessen Ende und Abschluss er bildet. Denn um dorthin zu gelangen, beziehungsweise eben indem wir dorthin gelangen, verlassen wir Raum und Zeit. Trotz seiner Transzendenz entzieht er sich indes nicht gänzlich der Reichweite der Wissenschaft, die ihm notwendigerweise gewisse Eigenschaften zusprechen muss…
Gott als Schlusspunkt           Das göttliche Millieu 1926-1927
Gott entdeckt sich überall unter unserem Tasten als ein universelles Milieu nur, weil er der Schlusspunkt ist, in dem alle Wirklichkeiten konvergieren. Jedes Element der Welt, welches auch immer es sei, subsistiert hic et nunc nur in der Weise eines Kegels, dessen Erzeugende sich [am Zielpunkt ihrer individuellen Vollkommenheit und am Zielpunkt der allgemeinen Vollkommenheit der Welt, der sie enthält] in Gott verknüpfen, der sie anzieht.
Göttliches Millieu                 Das göttliche Millieu 1926-1927
Das göttliche Milieu, so unermesslich es auch sein mag, ist in Wirklichkeit ein Zentrum. … Im göttlichen Milieu berühren sich alle Elemente des Universums durch das, was sie im Innersten und Endgültigstem haben. … Sie verlieren dort, indem sie sich begegnen, das wechselseitige Außerhalbsein und die Zusammenhanglosigkeit, die die grundlegende Mühsal der menschlichen Beziehungen ausmachen

Copyright © 2009 Naturwissenschaft und Glaube e.V

Evolution der Liebe und die Ursache des Leids

Was ist Evolution?     aus   Der Mensch im Kosmos 1939

Die Evolution sollte nichts als eine Theorie, ein System, eine Hypothese sein? Keineswegs! Sie ist viel mehr! Sie ist die allgemeine Bedingung, der künftig alle Theorien, alle Hypothesen,      alle Systeme entsprechen und gerecht werden müssen, sofern sie denkbar und richtig sein wollen. Ein Licht, das alle Tatsachen erleuchtet, eine Kurve, der alle Linien folgen müssen, das ist Evolution.

Zur Kosmogenese des Lebens  aus Die Vielheit der bewohnten Welten 1953

Nach allem, was wir heute über die Zahl der Welten und ihre innere Evolution wissen, ist die Idee eines einzigen hominisierten Planeten innerhalb des Universums faktisch bereits fast ebenso undenkbar geworden, wie die eines ohne genetische Beziehung zu den übrigen Lebewesen der Erde auftretenden Menschen.

Die Schwelle des Lebens     aus   Der Mensch im Kosmos 1939  S.60

Genauso wie der Mensch nach Ansicht der Paläontologen anatomisch mit der Masse der ihm vorausgehenden Säugetiere verschmilzt, so ertrinkt die Zelle qualitativ und quantitativ in der Welt der chemischen Gebilde, wenn man sie in absteigender Richtung verfolgt.
Unmittelbar nach rückwärts verlängert, konvergiert sie sichtbar mit dem Molekül.

Evolution des Erkennens     aus Der Mensch im Kosmos 1939

Man muss nicht unbedingt ein Mensch sein, um die Dinge und die Kräfte um uns herum wahrzunehmen. Alle Tiere vermögen dies ebenso wie wir. Doch der Mensch allein nimmt in der Natur eine solche Stellung ein, dass die Konvergenz der Linien nicht nur von ihm gesehen wird, sondern auch strukturelle Bedeutung hat.

Kritischer Punkt  Auswahl aus dem Werk 1964

Wie der Dampf, der sich ohne Änderung der Temperatur in eine kochende Flüssigkeit verwandelt, folgt das Denken auf das unreflektierte Leben, in dem es durch einen Zustandwandel eine Schwelle überschreitet. Etwas Derartiges war gewiss seit der anfängl. Kondensierung des Vorlebens in unserer Welt nicht geschehen.

Leiden als Preis des Fortschritts    Die menschliche Energie, 1937

Die Welt ist auf unserer Stufe, wie sie sich in der Erfahrung zeigt, ein unermessliches Tasten, ein unermessliches Suchen, ein unermesslicher Angriff: sie kann ihren Fortschritt nur um den Preis vieler Mißerfolge und vieler Wunden erzielen. Die Leidenden,welcher Art ihre Leiden auch seien, sind der Ausdruck für diese herbe, aber edle Bedingtheit. Sie stellen keine nutzlosen oder geminderten Elemente dar. Sie zahlen lediglich für den Vormarsch und den Triumph aller. Sie sind auf dem Felde der Ehre Gefallene.

Universum des Leides Der Mensch im Kosmos, 1939

Ein Universum, dass sich einrollt, sagte ich – ein Universum, das sich verinnerlicht: aber eben damit auch ein Universum der Mühsal, ein Universum der Sünde, ein Universum des Leides…
Ordnung und Zentrierung: diese beiden eng miteinander zusammenhängenden Formveränderungen lassen sich, wie die Ersteigung einer Bergspitze, oder die Eroberung der Lüfte, nur dann richtig durchführen, wenn man sie teuer bezahlt; – wenn wir wüssten, aus welchen Gründen und nach welcher Taxe, so hätten wir das Geheimnis der Welt um uns durchdrungen.

Rückverfolgung unseres Seins Das göttliche Millieu 1926-1927

Alles Wahrnehmbare nährt sich kontinuierlich aus den zahllosen Energien der greifbaren Welt. Machen wir, es lohnt die Mühe, die heilsame Übung, die darin besteht, im Ausgang von den personalisiertesten  Bereichen unseres Bewusstseins die Verlängerung unseres Seins durch alle Bereiche hin zu verfolgen. Wir werden aufs höchste erstaunt sein, wenn wir die Ausdehnung und die Innigkeit unserer Beziehungen zum Kosmos feststellen

Evolution hat eine Richtung Der Mensch im Kosmos  1939

Unter den zahllosen Abwandlungen, in die sich das komplexer werdende Leben zerteilt, hebt sich die Differenzierung der Nervenzellen als eine bezeichnende Umformung ab – wie die Theorie es vorraussehen lies. Sie gibt eine Richtung – und beweist dadurch, dass die Evolution eine Richtung hat. Von außem gesehen zeigt die Naturgeschichte der lebenden Wesen, sofern sie in ihrer Totalität betrachtet wird, und jeder Zweig von Anfang bis Ende, die stufenweise Ausbildung eines unermesslichen Systems von Nerven; von innen entspricht dem etwas Seelisches, das sich einrichtet und ausdehnt bis auf das Größenmaß der Erde

Der Mensch als Beschleuniger der Evolution   Das Auftreten des Menschen, 1923

Da sie sich im Menschen in sich selbst reflektiert, wird die Evolution sich nicht nur ihrer selbst bewußt. Gleichzeitig wird sie in gewissem Maße fähig,sich selbst zu leben und zu beschleunigen.

Evolution – ein Segen für die Theologie

von Christian Kummer

(1) Man muss nicht erst bis auf die Kodizes einer verflossenen Schultheologie zurückgehen, die nun zu Recht in den Magazinen der Seminarbibliotheken verstauben, um den Horror vor jener Art rationalistischer Theologie aufleben zu lassen, welche so kennzeichnend für die katholische Glaubenslehre (offizieller Provenienz) ist. Die jüngst so sehr beschworene Einheit von Glaube und Vernunft kam dort v.a. darin zum Ausdruck, dass man versuchte, biblische Aussagen ihren heterogenen Kontexten zum Trotz in ein monolithisches Denksystem zu zwängen. Die Berechtigung für dieses Verfahren bezog man aus der Überzeugung, dass die Sätze der Heiligen Schrift den „Heiligen Geist zum Hauptautor“ [sic!] haben, so noch der Katechismus der katholischen Kirche von 1993 unter Nr. 304. Mit dieser Art von fundamentalistisch anmutender Verbalinspiriration hat die moderne Exegese inzwischen auch katholischerseits stark aufgeräumt und ihren eigenen „Segen“ (sicher nicht nur einen solchen) in die Theologie hinein getragen. Insofern bräuchten wir hierfür nicht mehr die Evolution zu bemühen, eine sachgerechte Hermeneutik biblischer Aussagen leistete das auch. Aber von dieser exegetischen Kleinarbeit ist bisher nicht allzu viel in die Köpfe höherer Chargen des kirchlichen Lehrmats gelangt. Selbst das viel beachtete Jesus-Buch unseres jetzigen Papstes ist ein Beispiel dafür, wenn man die Rezensionen selbst wohlmeinender Exegeten als Beleg dafür nehmen darf, die allesamt ihre Vorbehalte gegen die methodologische Qualität der darin anzutreffenden Bibelauslegung haben. Der Stein des Anstoßes besteht kurz in der Auffassung, dass das Lehramt über die Richtigkeit exegetischer Inhalte zu befinden hat und nicht umgekehrt die Exegese über jene des Lehramts.

(2) Es soll uns aber gar nicht um die (zu wohlfeile) Auseinandersetzung mit einer Tradition und ihren Belastungen von gestern gehen, sondern um ein modernes Beispiel, das diese Art von Theologie wieder handgreiflich werden lässt und zeigt, wie wenig sie und der damit verbundene Machtanspruch in gewissen hierarchischen Kreisen überwunden ist. Ich meine Kardinal Schönborns unseligen Artikel in der New York Times vom 7.7.2005 (ein Datum, das sich einem fast so einprägt wie das des Ground Zero vom 11.9.2001): “Finding Design in Nature” (dt. „Den Plan in der Natur entdecken“). Er hat für genügend Wirbel gesorgt, aber es wäre falsch, ihn als persönliche Meinung eines Außenseiters einzustufen. Er ist m.E. vielmehr der Ausdruck einer ganz bestimmten Art von römischer Politik, der ein Dorn im Auge war, dass aus einem einzigen Satz eines Papstes, Johannes Paul II, zu viel Kapital in ungewünschter Münze geschlagen wurde. Dieser Satz ist bekanntlich, dass die Evolution „mehr als eine Hypothese“ sei. Das vollständige „Bekenntnis“ liest sich im wörtlichen Zusammenhang so: Heute, beinahe ein halbes Jahrhundert nach dem Erscheinen der Enzyklika [gemeint ist Humani generis von Pius XII aus dem Jahr 1950], geben neue Erkenntnisse dazu Anlass, in der Evolutionstheorie mehr als eine Hypothese zu sehen. Es ist in der Tat bemerkenswert, dass diese Theorie nach einer Reihe von Entdeckungen in unterschiedlichen Wissensgebieten immer mehr von der Forschung akzeptiert wurde. Ein solches unbeabsichtigtes und nicht gesteuertes Übereinstimmen von Forschungsergebnissen stellt schon an sich ein bedeutsames Argument zugunsten dieser Theorien dar. Interessanterweise findet sich diese Ansprache JPs II, gehalten an die Mitglieder der Päpstlichen Akademie der Wissenschaften anlässlich ihrer Vollversammlung am 22. Oktober 1996, nicht im Archiv der Homepage der „Santa Sede“ (oder sie ist dort so gut versteckt, dass ich sie trotz mehrmaliger Recherche nicht entdecken konnte), obwohl dort sonst jede Äußerung aus päpstlichem Mund konserviert wird. Sie muss darum von anderen, weniger offiziellen Stellen im Netz bezogen werden. (Auch das Archiv des Osservatore Romano, wo die Rede ja abgedruckt war, ist alles andere als benutzerfreundlich und erlaubt online keinen Zugang.) Zwei Dinge störten den Kardinal und, wie sich an verschiedenen Dokumenten festmachen lässt, seinen Vorgesetzten am Kolportieren dieser freimütigen Botschaft. Die Unterstellung, die katholische Kirche würde die Evolutionstheorie nunmehr offiziell uneingeschränkt bejahen. Darum die Unterscheidung in seinem Artikel: „Die Evolution im Sinn einer gemeinsamen Abstammung (aller Lebewesen) kann wahr sein, aber die Evolution im neodarwinistischen Sinn – ein zielloser, ungeplanter Vorgang zufälliger Veränderung und natürlicher Selektion – ist es nicht.“ Dieses Statement Schönborns fordert zur Gegenfrage heraus: Welche andere ‘Evolution’ neben der von Darwin erklärten sollte es denn geben? – Und: Woher nimmt ein Theologe die Autorität, darüber zu befinden, ob eine naturwissenschaftliche Theorie richtig oder falsch ist? Dass übersehen wird, dass die Kirche auch weiterhin (und auch Johannes Paul II, da ist Schönborn durchaus Recht zu geben) an der unmittelbaren Erschaffung der menschlichen Seele durch Gott festhält und hier der Gültigkeit der Evolutionstheorie auch auf empirischer Ebene eine Grenze setzt. Auch hierzu gleich eine Anmerkung. Die Erschaffung der menschlichen Seele ist eine theologische Aussage und damit muss das, was hier unter ‘Seele’ verstanden wird, auch theologisch gedeutet werden im Sinne einer unmittelbaren, besonderen Bezogenheit des menschlichen Geschöpfs auf Gott, d.h. seine theologisch interpretierte Personalität. ‘Seele’ bezeichnet aber auch etwas Diesseitig- Empirisches: seelisches Empfinden, Psyche, Geistigkeit des Menschen und dgl. Diese Ebene wird von der theologischen Aussage (aufgrund der Doppeldeutigkeit des Begriffs) vereinnahmt und damit behauptet, der Mensch sei ohne Theologie nicht vollständig zu erklären. Wie konfliktgeladen die Vermischung dieser Ebenen ist, die aus unterschiedlichen Perspektiven, die sich zu ergänzen hätten, eine Addition verschiedener Bestandteile macht, zeigt der Blick auf die ontogenetische Entstehung des Menschen. Karl Rahner hat das in drastischer Weise dargestellt. Nach klassischer Lehre würden die Eltern einen Affen erzeugen, der erst durch einen eigenen göttlichen Eingriff zum Menschen wird. Die Beseelung auf den Moment der Befruchtung zu verlegen, macht die Dissoziation zwar zeitlich weniger auffällig, ändert aber nichts am Prinzip. Was, so müsste man fragen, ist eine menschliche Eizelle im Vorkernstadium? – Nur eine Gleichzeitigkeit des schöpferischen Wirkens auf zwei verschiedenen Ursachen-Ebenen, einer göttlichen und einer menschlichen, wie sie K. Rahner vorgeschlagen hat, kann das Dilemma lösen. Hinter dem hier zum Vorschein kommenden Machtanspruch auf Deutungshoheit der menschlichen Natur steckt weniger Aggressivität als Angst. Schönborn meint, eine Auslieferung an den „Neodarwinismus“, wie er bezeichnenderweise die moderne synthetische Evolutionstheorie nennt, wäre gleichbedeutend mit dem Verzicht, die Welt als einen Ort göttlicher Weisheit und Zielsetzung zu begreifen. Hier zeigt sich eine z.Z. in allen päpstlichen Verlautbarungen nachweisbare Angst vor der Freiheit der aufgeklärten Vernunft. Wenn sich der Mensch zum Maß aller Dinge macht, so die Vermutung oder besser das Misstrauen, gerät seine Selbsteinschätzung außer Kontrolle; er verliert jede Orientierung für sein Handeln und macht, was er kann, statt, was er soll. Nur durch den Glauben könne das Licht der menschlichen Vernunft auf ein für ihn selbst erträgliches Maß herunter gedimmt werden, das ihn vor Verblendung bewahrt. Dem kann man durchaus etwas abgewinnen; es fragt sich nur, auf welche Weise diese Korrektur geschehen soll: durch Anlegen von Scheuklappen oder durch Aufzeigen einer eigenen alternativen Vision. Rom scheint z.Z. (oder immer noch) auf Gängelung mehr zu setzen als auf freie Entscheidung.

(3) Wie befreiend ist einer solchen Geisteshaltung gegenüber die Vision eines Teilhard de Chardin (1881-1955)! Wenn ich mich im Folgenden auf ihn beziehe, dann nicht, weil ich mit seiner Vision in allem einverstanden wäre, sondern, weil seine Person zunehmend in Vergessenheit zu geraten droht und dabei gerade heute wichtig wäre, um einer mehr und mehr sich verbarrikadierenden Kirche – wie auch der ‘Welt’, vor der sie Angst hat – zu zeigen, wie katholische Weite [gr.: kath’ holon] aussehen könnte. Der schwäbische Maler-Pfarrer Sieger Köder hat das in eines seiner Hl.-Geist-Glasfenster (in Ellwangen/Jagst) eingefangen, das an das Wort Johannes XXIII. vom Aufmachen der Fenster im Vatikan erinnert. Aus dieser Weite heraus hat Teilhard die Evolutionstheorie Darwins assimiliert. Nicht in Auseinandersetzung und stückweisem Feilschen, wie viele Anteile der Schöpfungsaktie an die Naturwissenschaften abgetreten werden können und und wie viele sich die Theologie selbst vorbehalten muss. Nein, als vollständige, ja bedenkenlose Übernahme, und damit als die Dimension, in der das ganze materielle Sein, das anorganische wie das organische, gedacht werden muss, und in der dementsprechend auch Schöpfung zu deuten ist. „La conscience d’une Dérive profonde, ontologique, totale d’une univers autour de moi“ heißt es dafür in seiner autobiographischen Schrift „Le coeur de la matière“ (Ed. Seuil XIII, 33). Was im Bild des Wortes ‘dérive’ (Strömung, Drift) mitschwingt, ist nicht leicht zu übersetzen: das Kontinuierliche, Unaufhörliche, dessen Kraft man kaum merklich ständig ausgesetzt ist wie dem Abdriften mit dem Sog der Ebbe auf einem scheinbar ruhigen Meer. Eine solche „allgegenwärtige Drift“ des Universums ist für Teilhard die Evolution, und sie ist „ontologisch“, ein Attribut des Seins wie die klassischen Transzendentalien des Wahren, Einen und Guten. Erst vor diesem Hintergrund wird die Formel „Schöpfung durch Evolution“ mehr als ein billiges Versöhnungsangebot, das beiden Seiten, der Schöpfung und der Evolution, zu ihrem Recht verhelfen möchte. Schöpfung geschieht ‘durch’ Evolution – nicht ‘statt’ und nicht ‘neben’ ihr.

(4) Was macht ein Schöpfer, der durch Evolution schafft? Er macht keine Dinge, sondern er macht, dass „die Dinge sich machen“. Dieses „Dieu faisant se faire les choses“ aus der kleinen Schrift „Que faut-il penser du transformisme“ von 1930 (Ed. Seuil III, 217) ist eine weitere wirkmächtige und fruchtbare Formel Teilhards. Was beinhaltet sie? Dass Gottes Schöpfertätigkeit von anderer Art ist als das Tun eines Handwerkers. Seine Ursächlichkeit ist auf einer anderen Ebene als die der innerweltlichen Kausalketten. Er ermöglicht die Dinge, aber dirigiert sie nicht, noch bastelt er sie zusammen. Die Dinge machen sich selber. Es ist wirklich die Aktivität der Dinge, die sie werden lässt. Das bedeutet ein Ernstnehmen der Eigenständigkeit des empirischen Kausalnexus, der auch dort vorhanden sein muss, wo wir ihn noch nicht aufgedeckt haben. Schöpfung ist kein Ersatz für Wirkursachen. Das ist gerade für die Biologie im Hinblick auf die großen weißen Flecken der Biogenese und der Entstehung des Mentalen wichtig. Die Eigenständigkeit der Geschöpfe ist mehr als nur eine Anerkennung der diesseitigen, materiellen Kausalität. Machen, dass die Dinge sich machen, ermöglichende Ursache sein heißt auch, den Dinge die Fähigkeit, das Vermögen zu verleihen, mehr zu werden als sie aus sich heraus sind. Nicht nur Verleihung von Sein durch Teilhabe, sondern von Seinszuwachs! Gott schafft keine Kreaturen, sondern er verleiht Kreativität. Und dazu ist es nötig, dass er den Dingen zuinnerst ist (auch eine klassische Schöpfungsaussage, die gern vernachlässigt wird!). Er ist nicht nur der lockere Chef, der sagt, die können das schon von alleine, und dann verschwindet, sondern der bei aller Liberalität Anteil nehmende Chef, der trotz aller Freiheit, die er lässt, interessiert ist an allem, was geschieht, es fördert und bestärkt. Die Dinge können wirklich ihre Grenzen übersteigen (‘Selbsttranszendenz’), weil Gott mit seinem fördernden Wohlwollen in ihnen ist (‘Selbstmitteilung’) Die psychologische Analogie (wie sehr jemand bei entsprechender Ermutigung und Rückenstärkung seinen Schatten zu überspringen vermag) ist nicht die schlechteste, um diese Schöpfungsformel (Kreativität verleihen statt Kreaturen zu schaffen) zu verdeutlichen. Dieses Schaffen durch Selbstmitteilung bedeutet auch etwas für die Seinsweise des Schöpfers. Er ist eben nicht ‘fern’, ‘weggegangen’, in seinem Himmel, sondern er ist gegenwärtig, überall und in allem. „Gott ist ständig – ganz – verschenkt.“ Das ist seine Daseinsweise in dieser Welt. Nicht nur gelegentlich und ein wenig, sondern ständig und ganz. Der ganze Gott ist in einer Amsel und in mir. (Die Frage ist also nicht, wie viel Gott von sich hergibt, sondern, auf welche Weise das Geschöpf diesen Gott aufnehmen kann – oder, in unserm Fall, will). Aber doch auch nicht Selbstaufgabe, sondern Souveränität: ‘verschenkt’. Schenken setzt Freiheit und Selbstbesitz voraus. Dass Gott in den Dingen ist, bedeutet dann auch etwas für unser Gott-Suchen. „Ihr Männer von Galiläa, was starrt ihr zum Himmel“, heißt es in der Himmelfahrtsszene der Apg. Nicht in einem zentrifugalen, weltverachtenden Jenseitsverlangen findest du diesen Gott, sondern in den Geschöpfen, in dir! Das ist die Weisheit aller Mystiker, der komtemplativen („schau, dein Himmel ist in mir“, Angelus Silesius) wie der aktiven („Gott finden in allen Dingen“, Ignatius von Loyola), vermutlich der nichtchristlichen genauso wie der christlichen. Du musst Gott in dir zulassen, dich von ihm ermöglichen lassen, ganz, dann bist du „im Himmel“. Der Tod ist dazu die anscheinend unausweichliche Voraussetzung, um das Schwerfällige, die volle Verwirklichung unserer Möglichkeiten Behindernde, das mit unserer materiellen Individualität (auch) gegeben ist, zu überwinden.

(5) So könnte eine Theologie, die Evolution ernst nimmt in Ansätzen und Stichworten aussehen. Ich hoffe, es ist jetzt klarer, warum ich Evolution als einen Segen für die Theologie ansehe und nicht als Bedrohung. Eine solche Theologie ist auch nichts essentiell Neues, sondern steht in Übereinstimmung mit der Bibel. Auch dazu müssen ein paar Hinweise genügen. Natürlich steckt das evolutionäre Denken noch nicht in der Bibel. Es hieße das Weltbild der biblischen Verfasser (und das Wirken des Hl. Geistes, der als „Erstautor“ eben auch nur ermöglicht und nicht diktiert) vergewaltigen, in ihren Texten schon Ansätze von Evolution herauslesen zu wollen. Aber es gibt eine Konsonanz, einen Zusammenklang, der zeigt, dass eine von der Evolution inspirierte Theologie auf dem Boden dessen steht, was wir biblische Offenbarung nennen. Ein eigenes Wort (bārā’) wird in Gen 1,1 dafür verwendet, um das göttliche Schaffen auszudrücken, ein Wort, das exklusiv nur Gott vorbehalten ist und nie für menschliches Schaffen gebraucht wird. Das zeigt doch wohl ein feines Gespür auch schon in der priesterschriftlichen Tradition, dass göttliche Schöpfertätigkeit etwas anderes ist als menschliche Herstellungskunst und darum grundsätzlich von letzterer unterschieden werden muss – auch und gerade, was Wörter wie ‘Plan’ und ‘Design’ betrifft. Gen 2,7: jasăr. Die mythologisch wichtige Gestalt des Töpfers steht bei diesem Wort im Mittelpunkt. Es geht dabei mehr um das Hervorbringen von Gestalt aus dem Stoff, um den Prozess der Kreativität, des Künstlerischen, als um das ‘Verfertigen’ von Produkten. Jer18,5: Das schöne Bild vom immer wieder neuen Entwurf, den der Künstler unternimmt. Es ist moralisch beruhigend für uns, weil es die Zuversicht vermittelt, immer wieder neu anfangen zu dürfen. Es kann aber auch vom entwerfenden Künstler etwas aussagen. Die Idee verwirklicht sich in der Auseinandersetzung mit dem Stoff (vgl. jasăr). In immer wieder neuen Entwürfen versucht der Künstler materiell einzuholen, was in seinem Kopf als ‘Idee’ umgeht, aber noch keine feste Kontur besitzt. Erst an der materiellen Verwirklichung sieht er: das ist es – oder eben noch nicht. Es braucht die Materie, damit die Idee Gestalt annimmt – die materielle Form ist mehr als nur eine Kopie des im Geist schon Vorhandenen. So wie der Künstler die Materie, den Stoff braucht, um seine Idee auszudrücken, braucht Gott die Eigentätigkeit der Geschöpfe, um seinen ‘Schöpfungsplan’ hervorzubringen. Dieser Schöpfungsplan ist nicht schon vor allen Zeiten minutiös festgelegt, sondern nur „auf Einheit hin“. Gott „braucht“ Geschöpfe, um sich an sie zu verschenken und sie dadurch auf den Weg der „schöpferischen Einigung“ mit ihm zu ermächtigen. Die Bedeutung des Materiellen für die Kreativität auf Gott anzuwenden mag ketzerisch sein, vielleicht ist es aber auch nur ungewohnt. Jedenfalls ist es die Vernachlässigung dieses Aspekts, warum mir die gängigen Konzeptionen von Schöpfungstheologie, auch neuerer Provenienz, so unbefriedigend erscheinen. (6) Ein sich selbst ständig ganz an seine Geschöpfe verschenkender Gott kann freilich nicht in derselben „klaren und sicheren“ Weise aus der Vielfalt und Widersprüchlichkeit Eigenziele verfolgender Geschöpfe erschlossen werden, wie einer, der die Natur nach allen Regeln menschlicher Herstellungskunst entwirft, wie das Schönborn im genannten Artikel unisono mit dem Vaticanum I vorschwebt. Es müsste viel eher in einer Weise erfolgen, die der Religionsphilosoph Richard Schaeffler als „Lesen im Buch der Welt“ [Stimmen der Zeit (Juni 2006) 365] vorschlägt: Gott kommt in der Welt genauso wenig vor wie Schiller im Wallenstein – und doch ist jede Zeile von ihm!

Prof. Dr. Christian Kummer SJ
Hochschule für Philosophie
Kaulbachstr. 31a
80539 München