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ND-Westregionen 2018

Treffen der ND-Westregionen  Sa., 15. Sept. 2018    im  Kölner Domforum (5. Stock)
Der naturalist. Atheismus als Herausforderung für den Gottesglauben

10:00 Uhr   Begrüßung und Einführung  in die Thematik durch Dr. Gerd Weckwerth

10:30 Uhr    Ist der Gottesglauben entbehrlich? Antworten aus der Sicht eines
Naturalisten   Prof. Dr.Dr. Gerhard Vollmer (Physiker und Philosoph)

11:30 Uhr     Die Antwort der Theologie auf den naturalistischen Atheismus und
dessen Herausforderungen  Prof. Dr. Hans Joachim Höhn, Köln

12:30 Uhr     Mittagszeit – Verpflegung im Umfeld des Domes

14:00 Uhr     Dr. Gerd Weckwerth: Anmerkungen aus Sicht des Arbeitskreises
„Naturwissenschaft und Glaube“

14:30 Uhr     Podiumsdiskussion der Referenten
Moderation: Karl Heinz Paulus1

17:00  Uhr    Wortgottesdienst

Das Religionsprinzip des Kosmos

Das Religionsprinzip des Kosmos

Die Evolutionstheorie und das Handeln Gottes

von Gerd Weckwerth
Email:  weckwerg@uni-koeln.de
erschienen in: Herder-Korrespondenz (April, 2003)

Nach einem von der NASA gerade vorlegte Resultat von Messungen des Satelliten WMAP ist das Weltall 13,7 Mrd Jahre alt. Spektakulär daran sind vor allem der neue Weg, auf dem dieses Resultat gewonnen wurde und die dabei erzielte Bestätigung unseres heute auf Urknall, Naturgesetzen und Evolution basierenden Weltbilds. Grundlage hierfür bildet die kosmische Mikrowellenstrahlung, die 1965 bei der Untersuchung von Störgeräuschen eines neuen Radioempfangssystems entdeckt und sehr bald mit dem vorhergesagten Nachglühen des Urknalls identifiziert wurde. Als deren erste genaue Vermessung mit dem Satelliten COBE Anfang der 90er Jahre zunächst keine räumlichen Strukturen erkennen ließen, aus denen sich die heutige Materiverteilung des Kosmos hätte entwickeln können, kamen zwar noch einmal Zweifel über deren Interpretation auf.

Wenn die heute 40-fach feineren Messungen neben der Auflösung solcher Strukturen zusätzlich eine neue unabhängige Altersbestimmung des Kosmos ermöglichen und das Resultat sogar weitgehend verträglich ist mit der am anderen Ende der dynamischen Entwicklung gemessenen Hubble-Konstante, wird dadurch die mit der Hintergrundstrahlung verbundene Bestätigung des Urknallmodells noch einmal verstärkt. Gerade diese langen Zeitskalen, in denen sich allein auf der Basis der Naturgesetze der heutige Kosmos entwickelt haben soll, waren für den biblischen Schöpfungsglauben eine ernsthafte Probe. Auch wenn durch die moderne Exegese frühere Widersprüche entschärft wurden, bleibt bei vielen Gläubigen eine Distanzierung zu heutigen naturwissenschaftlichen Weltmodellen und Skepsis gegenüber den darin verwendeten Methoden.

Richtig ist, dass die Naturwissenschaften kaum geeignet sind, Glaubensinhalte zu untersuchen. Sie können aber sehr erfolgreich die körperlichen Organe erforschen, mit denen diese Inhalte wahrgenommen werden. Die Fähigkeit des Menschen zu glauben und seinen Glauben zum Ausgangspunkt seines Handelns zu machen, basiert vor allem auf seinem Gehirn. Eine auch für den Schöpfungsglauben wichtige Frage ist daher, wie und unter welchen Voraussetzungen die für religiöses Erkennen und Handeln unabdingbare Leistungsfähigkeit des Gehirns entstehen konnte.

Der klassische Schöpfungsglauben nimmt Gehirne nicht als evolutiv entwickelt, sondern als direkt vom Schöpfer geschenkte Werkzeuge an. Schöpfung erfuhr der Mensch vor allem dadurch, dass die ihn umgebende Welt ihn zum Leben befähigt. Das Auffinden geeigneter Nahrung und die Erfüllung der Lebensbedürfnisse in Umwelt (Licht, Wärme, Luft) und Lebensumfeld (Eltern, Freunde) war nur durch einen liebenden Schöpfer erklärbar. Die Schöpfungserzählungen waren Bilder dafür, wie Gott Mangel beseitigt hat, und beschrieben damit dessen Macht, Liebe und ordnenden Fähigkeiten. Symbol und sichtbares Zeichen für göttliche Ordnung waren die Abläufe am Himmel, die mit Tag und Nacht, sowie den Jahreszeiten ebenfalls als für den Menschen gemacht, empfunden wurden

Um sich nicht selbst zu gefährden, war es Aufgabe des Menschen, sich dieser Ordnung anzupassen. Die auf den Menschen ausgerichtete Schöpfung (klassisches anthropisches Prinzip) war entscheidende religiöse Grunderfahrung aller Kulturen. Zwar wurde sie durch menschliche Eigenleistungen wie den Bau von Häusern, Städten und daraus resultierende Gesellschaftsordnungen in den Hintergrund gedrängt. Durch Naturkatastrophen, Krankheiten und Tod sah sich der Mensch aber immer wieder an göttliche Macht gebunden.

Die Chance für eine grundsätzliche Abwendung von dieser Gottesvorstellung entstand erst, als die Naturwissenschaft mit der Evolutionstheorie eine zuvor nicht denkbare, andere Erklärung für die Schöpfungserfahrung lieferte: Nicht die den Menschen umgebende Welt wurde vom Schöpfer nach den Bedürfnissen des Menschen zugeschnitten, sondern im Rahmen der Evolution wurde der Mensch den Bedingungen der Umwelt angepasst. Unabhängig von der Richtigkeit war dieses neue Denkmodell für viele Anlass, die Schöpfungsvorstellung als den historischen Irrtum eines Wesens zu betrachten, das dazu neigt, sich selbst in den Mittelpunkt zu stellen und alles andere als für ihn und zu seinem Nutzen geschaffen anzusehen. Sind damit alle Formen von Religion nur Produkt dieser anthropozentrischen Wunschvorstellungen? Wird der Mensch im Evolutionsmodell zum Produkt einer willen- und ziellosen Natur?

Um dem nicht zustimmen zu müssen, glauben Kreationisten bis heute an Fehler in Teilen der Evolutionstheorie, die von den Naturwissenschaften lange schon akzeptiert sind. Wie aber muss ein Schöpfungsglaube aussehen, der diesen Erkenntnissen Rechnung trägt, der eine sich entwickelnde Natur nicht als konkurrierende Alternative, sondern als wichtigen Teil des Schöpfungsplanes sieht?

Das anthropische Prinzip der modernen Physik
Ausgangspunkt einer Theorie der kosmischen Evolution ist die Urknalltheorie. Sie basierte zunächst auf der 1929 von Hubble entdeckten, mit dem Abstand zunehmenden Rotverschiebung der Galaxien. Sie wird als eine steigende Fluchtgeschwindigkeit interpretiert, aus der sich eine Anfangsverdichtung aller kosmischen Materie errechnen lässt. Neben der Hintergrundstrahlung war eine zweite bestätigende Entdeckung, dass im Gegensatz zu den schwereren Elementen der Hauptteil des Elements Helium nicht durch Kernfusion in Sternen entstanden ist. Ein solcher Anteil an Helium entsteht während der hoch verdichteten Frühphase des Urknalls aber zwangsläufig und kann daher umgekehrt als Indiz für ein solches Modell dienen.

Grund dafür, dass schwerere Elemente wie Kohlenstoff und Sauerstoff in der Frühphase noch nicht entstehen, ist die hohe Stabilität des Heliumkerns. Die Verbindung zweier Heliumkerne ist instabil und zerfällt umgehend zurück in Heliumkerne. Erst die Verbindung dreier Heliumkerne (Tripel-Alpha Prozess) ist wieder stabil und führt zu dem für das Leben entscheidenden Element Kohlenstoff. Dem Astrophysiker Fred Hoyle war 1954 aufgefallen, dass die Wahrscheinlichkeit für die Verbindung von drei Heliumkernen auch bei den hohen Dichten in roten Riesensternen bei weitem zu klein ist, um den heutigen Anteil schwererer Elemente im interstellaren Medium zu erzeugen.

Hoyle forderte daher, dass der beim Tripel-Alpha Prozess entstehende Kohlenstoffkern auf ein bestehendes Anregungsniveau trifft. In diesem Fall kommt es zu so genannten Resonanzwirkungs-querschnitten mit bis zu millionenfach erhöhten Einfangwahrscheinlichkeiten. Spätere Nachmessungen an Beschleunigern ergaben, dass dieser unwahrscheinliche Fall beim Tripel-Alpha Prozess wirklich auftritt. Unter anderem steht in diesem Kosmos nur deswegen eine ausreichende Menge an fester Materie für Bildung von Planeten wie der Erde zur Verfügung.

Die von Hoyle zu dieser Vorhersage benutzte Argumentationslinie ist der Glauben an eine lückenlose kosmische Evolution, ausgehend von einer hochenergetischen Urknallphase. Entscheidend für eine solche Vorhersage ist, dass die sonst relevanten Faktoren, auf die sich die Vorhersage bezieht, bekannt sind und nichts außerhalb naturgesetzl. erklärbarer Prozesse geschieht. Angeregt durch den Erfolg der Hoyleschen Vorhersage formulierte 1961 der amerik. Physiker Robert H. Dicke für das Universum als so genanntes anthropisches Prinzip wie folgt: „Weil es in diesem Universum Beobachter gibt, muss das Universum Eigenschaften besitzen, die die Existenz dieser Beobachter zulassen“ Um zu verdeutlichen, dass man mit diesem Prinzip nicht nur vom Menschen zurückschließen kann, wird statt dessen vom Beobachter gesprochen und damit von der reflektierenden Fähigkeit, die in jedem Fall Voraussetzung dafür ist, dass ein solches Prinzip erkannt und angewendet wird.

Die Idee dieses Prinzips ist es, die Produkte der kosmischen Evolution bis hin zum Menschen zu nutzen, um rückwirkend spezifisch nötige Entwicklungsvorgänge und Voraussetzungen abzuleiten. Gelingen können solche Ableitungen am ehesten an Verdichtungsstellen der Evolution. Das sind zum Teil noch ungeklärte, für den weiteren Fortgang aber nötige Entwicklungsschritte, die nur an Orten mit besonderen Bedingungen stattfinden. Dazu gehört der Urknall selbst, aber auch Sternexplosionen wie die sogenannten Supernovae, ohne die im Sterninnern erzeugten schweren Elemente nie in den freien Kosmos kämen. Notwendig zur Existenz des Menschen, war die Bildung des mit geeigneten Eigenschaften ausgerüsteten Planeten Erde und die spezifischen Bedingungen, bei denen erstmals komplexe Moleküle des Lebens entstehen konnten. Diese auch als Flaschenhälse der Evolution bezeichneten Schritte ermöglichten danach jeweils neuen Formen der Entwicklung unter bis dahin nicht relevanten Gesetzmäßigkeiten, wie zum Beispiel die der Biologie nach dem Auftreten ersten Lebens.

Evolution ist kein Zufall
Das anthropische Prinzip gab in den Folgejahren Anlass, nach spezifischen Voraussetzungen der kosmischen Entwicklung zu suchen und zwar sowohl auf der lokalen Ebene des irdischen Umfelds als auf der globalen Ebene des Universums, beziehungsweise seiner universell geltenden Naturgesetze. So lässt sich aus der erwähnten Hoyleschen Vorhersage zum Tripel-Alpha Prozess ein dazu exakt nötiges Verhältnis von elektromagnetischer und starker (nuklearer) Wechselwirkung ableiten. Damit Sternexplosionen zur Ausstreuung schwerer Elemente im nötigen Umfang auftreten beziehungsweise Sterne genügendes Alter erreichen, muss die Gravitationskonstante um den Faktor 10<sup>40±1</sup> kleiner als die der starken Wechselwirkung sein. Ein drittes Beispiel ist die Erkenntnis, dass menschliche Beobachter weder in einem viel jüngeren, noch in einem viel älteren Universum hätten auftreten können.

Viele der für die Entwicklung von Beobachtern nötigen lokalen Bedingungen lassen sich zwar sehr exakt in ihren Grenzen angeben (Abstand von der Sonne, Größe des Planeten, Art der Atmosphäre). Weitgehend unbekannt ist aber, wie häufig Planeten mit diesen für das Leben spezifischen Bedingungen vorkommen. Die Verwunderung darüber, dass es überhaupt einen geeigneten Planeten wie die Erde gibt, hält sich angesichts der riesigen Zahl von Sternsystemen im Kosmos aber in Grenzen.

Insgesamt wurde die Relevanz von bis zu hundert solcher Bedingungen globaler und lokaler Natur festgestellt und abgeschätzt, ab welcher Differenz von den realisierten Bedingungen die Entwicklung intelligenter Beobachter bereits verhindert wäre. In der Summe zeigte sich, dass zur Ermöglichung der kosmischen Evolution bis zum menschlichen Beobachter neben der großen Zahl unterschiedlicher Sternsysteme zahlreiche naturgesetzliche Bedingungen und kosmische Parameter (u.a. Alter, Größe, Dichte) mit hoher Präzision genau so sein müssen, wie sie kosmosweit seit dem Urknall realisiert sind. Auch wenn wir bis heute nicht wissen, warum Naturgesetze in unserem Kosmos bestimmte Formen und Größen haben, muss die hohe Übereinstimmung mit den sehr restriktiven Notwendigkeiten der Evolution eine Ursache haben. Ein dafür nötiger Zufall wäre in jedem Fall viel zu groß, um aus wissenschaftlicher Sicht als Erklärung akzeptabel zu sein. Es verbleiben somit im wesentlichen nur zwei andere mögliche Erklärungen.

Mit einer ähnlichen Überlegung wie auf der lokalen Ebene für die Erde versucht die Vielweltentheorie die Eignung unseres Kosmos für die Entwicklung von Beobachtern zu erklären. Sie nimmt dazu an, dass es viele Universen mit verschiedensten Naturgesetzen und Parametern gibt. Unter einer riesigen Zahl von Kosmen wäre auch der unsrige mit seinen für die Entstehung von Leben exakt abgestimmten naturgesetzlichen Bedingungen. Quantenmechanik und Relativitätstheorie lassen solche Parallelwelten und Kosmen mit anderen Naturgesetzen zumindest denkbar erscheinen.

Der „intelligente“ Aufbau unserer Welt mit ihren unglaublichen Entwicklungsmöglichkeiten wird heute zwar ohne die frühere Annahme äußerer Eingriffe durch die Eignung der Naturgesetze erklärt. Um so mehr ist aber für deren einmaliges Design eine äußere Intelligenz von Nöten. Diese könnte mit der kreativen Ur-Intelligenz identifiziert werden, wie sie Religionen dem Schöpfer zuschreiben. Beide Annahmen könnten natürlich auch gemeinsam zutreffen: Sie eignen sich aber nicht als letzte Erklärung, da man auch nach der Ursache vieler Welten oder einer Ur-Intelligenz fragen könnte.

Vereinbar mit dem christlichen Schöpfungsglauben?
Obwohl das Urknallmodell nur auf wenigen Indizien aufbaut, ist es unter Naturwissenschaftlern zumindest im Grundsatz wenig umstritten. Auch viele christliche Theologen konnten sich überraschend schnell mit diesem Modell anfreunden. Grund dafür dürfte sein, dass der Kosmos aufgrund dieses Modells einen Anfang vielleicht sogar auch ein Ende hat. Die Naturwissenschaften stoßen damit an Erkenntnisgrenzen, deren Überschreitung man allein dem Glauben reservieren möchte.

Andererseits bringt das Urknallmodell und die folgende kosmische Evolution für den Schöpfungsglauben eine Reihe von Schwierigkeiten. Dazu gehört vor allem, dass sich der Kosmos danach eher als vollautomatische Evolutionsmaschine darstellt, basierend auf den als konstant angenommenen Naturgesetzen. Einmal initiiert und angestoßen, läuft sie ohne Hilfe und Korrekturen ihres Schöpfers möglicherweise ohne Sinn und Zweck weiter. Diese Idee entspricht eher dem philosophischen Modell des Deismus, der sich darin jedoch zentral vom Gottesglauben nicht nur des Christentums unterscheidet, bei dem immer von einem zugunsten des Menschen in die Geschichte eingreifenden Gott ausgegangen wird. Welche Chance könnte ein solches Gottesbild im Rahmen einer kosmischen Evolution noch haben, in der nichts außerhalb naturgesetzlicher Prozesse abläuft?

Um eine solche Frage beantworten zu können, muss man sich zunächst darüber klar werden, dass die Naturgesetze in einem modernen Schöpfungsglauben nicht eine Konkurrenz zu göttlichem Handeln darstellen, sondern den ursprünglichsten Teil des Kosmos und damit am ehesten das Schöpfungshandeln Gottes repräsentieren. Dieses Handeln ist jedoch geschichtslos, hat keinen Bezug zu einer historischen Situation, in der sich Menschen befinden. Der Mensch kann sich zwar darauf verlassen, dass sich Naturgesetze nicht plötzlich verändern, und erst damit wird ihm kontrolliertes, eigenverantwortliches Handeln ermöglicht. Aber gerade durch die unbarmherzige Gültigkeit der Naturgesetze wird die Not (zum Beispiel eines kranken Menschen) gnadenlos fortgesetzt.

Notsituationen werden in der Tierwelt ausschließlich triebgesteuert bewältigt, das heißt im Rahmen von Verhaltensprogrammen, die innerhalb der biologischen Evolution aufgebaut wurden. Mit dem besonderen Empfinden einer persönlichen Notlage kommt beim Menschen jedoch eine kreative Form der Bewältigung hinzu. Er kann selbst neue Wege aus einer Notsituation entwickeln und in besonderer Weise erfahren, wie ihm geholfen wird. Religiöse Fürbitt- und Dankgebete sind Ausdruck dieses nur dem Menschen zuteil gewordenen Vermögens, Hilfe zu geben und zu erfahren. Im Rahmen der Religionen erhält dieses Talent des Menschen eine göttliche Dimension.

Das wird deutlich nicht nur an Aussagen wie „Hilf dir selbst, dann hilft dir Gott“, sondern vor allem am persönlichen Empfinden, selbst ein Werkzeug Gottes zu sein. Im Christentum wird das unter anderem in der Lehre des Thomas von Aquin über ein von Gott bestimmtes, zweitursächliches menschliches Handeln ausgedrückt. Ohne heutige naturwissenschaftliche Erkenntnisse zu verletzen, kann man annehmen, dass die mit den Gehirnen der Geschöpfe entstandene Fähigkeit zur Religion diese Geschöpfe in die Lage versetzt, göttlichen Geist in diesem Kosmos umzusetzen. Göttliches Wirken über seine in der Zeit agierenden Geschöpfe wird möglich und zwar gerade, weil sie in freier persönlicher Entscheidung dieser Geschöpfe geschieht.

Das mit dem Menschen in der Evolution erstmals auftretende Phänomen eines homo religiosus lässt sich im Bezug auf dazu nötige Voraussetzungen auch naturwissenschaftlich untersuchen. Ein wichtiger Beitrag zu einem modernen Schöpfungsglauben wäre es daher festzustellen, wie weit die Naturgesetze speziell auf das Auftreten von Religion zugeschnitten sind. Entsprechende Indizien würden zumindest den Glauben stärken, dass der Mensch vom Schöpfer in dieser Weise gewollt ist.

Sofern damit das Potenzial eines göttlichen Handelns mit Hilfe des Menschen gelegt wurde, wäre es auch der entscheidende Schritt über den Deismus hinaus. Ein solches Bild von Gott wäre nicht das des untätigen Impulsgebers, sondern würde ihn spätestens mit dem Auftreten des Menschen oder eines vergleichbaren religionsbefähigten Wesens zu einem auch historischen Handeln befähigen. wie es im Rahmen der Religionen angenommen wird. Das anthropischen Prinzip mit seinem Glauben an eine lückenlose Evolution würde erst mit dieser zusätzlichen Annahme über einen so gewollten Menschen auch mit dem christlichen Schöpfungsglauben vereinbar.

Die Untersuchung der naturgesetzlichen und kosmischen Voraussetzungen im Hinblick auf ein solches Religionsprinzip, lassen sich als Teilgebiet des anthropischen Prinzips betrachten, wenn auch eines Teiles, der in den bisherigen Untersuchungen noch nahezu keine Beachtung gefunden hat. In welche Richtung könnte eine geeignete naturwissenschaftl. Erschließung der Entstehung menschlicher Religionsfähigkeit gehen? Ungewiss bleibt in jedem Fall, ob es jemals zu einer überprüfbaren Vorhersage des Entstehungsprozesses, zum Beispiel bei der Erforschung des spezifischen Ablaufs der Hominisation, kommen wird. Wichtig ist aber die Feststellung, dass die Unterstützung des Schöpfungsglaubens hier nicht in der Suche nach Lücken in der Evolution, sondern gerade im prognostisch nutzbaren Schließen des naturgesetzl. Ablaufs solcher vermeintlichen Lücken liegt.

Kosmische Voraussetzungen von Religion
Darüber, was das Phänomen Religion ausmacht, gibt es neben vielen Ähnlichkeiten unter den verschiedenen Religionen der Erde in mancher Hinsicht differierende Auffassungen. Umstritten ist sogar, ob Religion überhaupt eine nützliche Fähigkeit ist. Unabhängig von solchen Einschätzungen lassen sich Bedingungen angeben, ohne die das Phänomen Religion gar nicht erst auftreten könnte. Damit Informationssammlung und Verarbeitung mit ausreichender Intelligenz sich entwickeln konnte, wird wie auf der Erde ein ungestörter Evolutionsablauf für mehrere Milliarden Jahren benötigt. Da Religion, soweit heute bekannt, ein Phänomen hochentwickelten organ. Lebens darstellt, sind alle Voraussetzungen eines solchen organ. Lebens auch für die Entstehung von Religion nötig.

Zur Religionsfähigkeit gehört zusätzlich die Handlungsfreiheit intelligenter Individuen, die nur in einem offenen System denkbar ist, in dem Handlungen nicht vollständig materiell determiniert sind. Diskutiert wird zum Beispiel, ob nicht erst das Angebot sich überlagernder Möglichkeiten im Bereich der Heisenbergschen Unschärfe die Einflussnahme geistiger Prozesse gegenüber einer rein materiell determinierten Welt ermöglicht. Daneben könnte für die individuelle Handlungsfreiheit auch individuelle Differenzierung nötig sein, wie sie unter anderem durch den Zufallsanteil in der Vererbung entsteht. Denkbar ist, dass eine Schöpfung, in der selbstverantwortliche Geschöpfe entstehen sollen, gar nicht ohne vergleichbare Größe und Komplexität des Kosmos sowie Dauer und Zufälligkeit eines Evolutionsprozesses, wie der, der unser Universum geformt hat, auskommen kann.

Religion ist ein auf der Erde auf Personen ausgerichtetes Phänomen. Basis der personalen Struktur des Menschen ist ein mit der Evolution individuell im Großhirn ausgebildeter innerer Kosmos aus gespeicherten Bildern und unabhängig ablaufenden Gedankenmustern. Da intelligente Beobachter auch ohne individuelle Personen, sexuelle Fortpflanzung und soziale Kontakte denkbar sind, wäre zu untersuchen, warum sie im Fall des Menschen mit diesen gerade für die Ausbildung von Religion wichtigen Eigenschaften entstanden sind.

Im Christentum und einigen anderen Religionen gelten Glauben, Hoffnung und Liebe als besonders hohe Werte religiösen Handelns. Alle drei Aspekte leben davon, dass zwar viele Informationen erst den Anlass zu ihrer Ausprägung geben, aber einige weitergehende Informationen grundsätzlich nicht vorhanden sein dürfen:

Leicht einsichtig ist dieses beim Aspekt Hoffnung. Wäre die Zukunft bereits bekannt, könnte das spezifische Gefühl der Hoffnung nicht aufkommen. Damit dieser Teil der Religionsfähigkeit nicht gefährdet oder zu einem vorübergehenden Phänomen wird, sollte jede Art von direktem Einblick in eine erst später realisierte Zukunft grundsätzlich unmöglich sein.

In ähnlicher Weise gilt das für das Phänomen Liebe. Es bedarf zunächst individueller Personen und gegenseitiger Informationen, die Partner zur Liebe zu motivieren. Auch wenn der Wunsch nach umfassender Information der Liebe entspringt, sind Menschen so strukturiert, dass eine vollständige Kenntnis des Partners trotz dauerhafter Anstrengung niemals möglich ist. Um diese transzendentale Spannung des Phänomens Liebe dauerhaft zu erhalten, wäre es nötig, dass auch Psychologie und Neurologie stets letzte Geheimnisse verborgen bleiben und die aus der Science-Fiction-Literatur bekannten Ideen vollständiger Telepathie und Gehirnverschmelzung sich niemals realisieren lassen.

Eine besondere kosmische Dimension steckt im strukturell nötigen Informationsdefizit des Glaubens. Wäre uns der Schöpfer bekannt, gäbe es nichts zu glauben. Die transzendentale Spannung scheint aber schon darin zu liegen, dass seine Existenz nicht beweisbar ist. Die Einschätzung der Schöpfung, der Mitgeschöpfe und auch eigener Taten wird dadurch freier und von Verantwortung geprägt und Bedarf einer immer wieder neuen Ausrichtung am individuellen und aktuell gelebten Glauben. Ähnlich wie bei den beiden anderen Aspekten gehört auch die Suche nach Beweisen oder Zeichen des Schöpfers als Teil dieser transzendentalen Spannung dazu.

Eine typische Frage in Rahmen eines Religionsprinzips wäre: Wie muss ein Kosmos aussehen, der so angelegt ist, dass die Existenz des Schöpfers für entstehende Geschöpfe nicht beweisbar bleibt? Obwohl diese Frage sehr spekulativ ist, scheinen einige Konsequenzen einsichtig zu sein:

So darf der Anfang des Kosmos keine eindeutig auf den Schöpfer zurückführbare Eigenarten besitzen und es dürfen keine später beweisbaren, direkten Eingriffe des Schöpfers in den kosmischen Evolutionsprozess erfolgen. Alles Entstehende muss sich auf naturgesetzlicher Basis bilden und naturwissenschaftliche Erkenntnisse müssen immer auch areligiöse Erklärungsmuster zulassen, wie zum Beispiel die Vielweltentheorie.

Selbst der Glaube als eine indirekt, über Geschöpfe vermittelte Form göttlichen Eingriffs in das Weltgeschehen darf keine Beweise für die Existenz des Schöpfers liefern. Das dem so ist, ergibt sich unter anderem aus der Feuerbachschen Projektionshypothese für den Glauben als Summe allein vom Menschen ausgehender Wunschträume ohne realen Hintergrund.

Auswirkungen auf den christlichen Schöpfungsglauben
Ein Schöpfungsglauben, der nicht darauf reagiert, dass die Naturwissenschaft unser Weltbild seit der Zeit der Bibel stark verändert hat, wird mehr und mehr weltfremd und ist bei jeder Berührung mit der realen Welt gefährdet. Ein veralteter, nicht mehr vermittelbarer Schöpfungsglauben könnte auf diese Weise sogar zur Hauptursache für einen schwindenden Glauben werden, und damit auch zum Akzeptanzproblem der über den Schöpfungsglauben hinausgehenden christlichen Botschaft.

Es hilft daher, sich auf die Grundannahmen des christlichen Schöpfungsglaubens zu besinnen und zu versuchen, sich diese so glaubwürdig wie möglich in Rahmen des heutigen Weltbilds verständlich zu machen. Auf das Nötigste verkürzt lauten sie: Ein Schöpfer hat mich gewollt und sorgt für mich. Im Rahmen des vorgestellten Religionsprinzips könnte man diese Aussagen konkretisieren in der Form: Ein Schöpfer hat mich als religionsbefähigtes Wesen gewollt, mir mit dieser Fähigkeit Nähe und Zugang zu seinem Geist verschafft und mir dadurch ermöglicht, sowohl Werkzeug seines Schutzes zu werden, als diesen auch selbst zu erfahren.

Da die Entstehung von Religionsbefähigung sich nicht auf dem Weg des klassischen Determinismus, sondern, wenn überhaupt, nur im Rahmen eines von Zufälligkeiten und Freiheiten bestimmten Entwicklung erklären lässt, entschärft eine derart reduzierte Schöpfungsannahme das Theodizeeproblem. Sie ermöglicht zugleich aber auch eine von Urzeiten vorgesehenen Weg der Menschwerdung des Göttlichen, wie sie in der christlichen Botschaft für Jesus Christus verkündet wird.
Zum Autor
Dr. Gerd Weckwerth

seit 1995 Wiss. Mitarbeiter am Institut für Mineralogie und Geochemie der Universität Köln
    1983 Diplom in Physik (Mainz)
1984-1988 Promotion in Nuklear- und Kosmochemie am MPI für Chemie (Mainz)
1990-1993

Mitautor einer Technikfolgenstudie zur bem. Raumfahrt (DLR, Köln-Porz)

seit 1985 Leiter des Arbeitskreises „Naturwissenschaft und Glaube“ (ND-KMF)

weiterführende Literatur

Bernhard Lovell

Das unendliche Weltall. Geschichte der Kosmologie, Verlag C.H.Beck, München 1983

Reinhard Breuer

Das anthropische Prinzip, Meyster Verlag, Wien 1981
Paul Davis

Gott und die moderne Physik, Bertelsmann-Verlag, München 1986
Julien Ries

Ursprung der Religionen, Pattloch-Verlag, Augsburg 1993
John Gribbin und Martin Rees

Ein Universum nach Maß, Insel-Verlag, Frankfurt 1999
Christian de Duve

Aus Staub geboren-Leben als kosmische Zwangsläufigkeit, Rowohlt Verlag, Reinbek 1997
Ulrich Lüke

Mensch–Natur–Gott. Biologische Beiträge und theologische Erträge, Lit-Verlag,Münster 2002

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