Hymne an die Materie

Gesegnet seist du, herbe Materie, gewaltätiges Meer, unzähmbare Leidenschaft, du, die du uns verschlingst, wenn wir dich nicht anketten.
Gesegnet seist du, machtvolle Materie, unwiderstehliche Evolution, immer neugeborene Wirklichkeit, du, die du in jedem Augenblick unsere Rahmen sprengst, uns zwingst, die Wahrheit immer weiter zu verfolgen.
Gesegnet seist du, universelle Materie, grenzenlose Dauer, uferloser Äther – dreifacher Abgrund der Sterne, der Atome und der Generationen – du, die du, unsere engen Maße überflutend und auflösend, uns die Dimension Gottes offenbarst.
Gesgnet seist du, undurchdringliche Materie, du, die du, überall zwischen unsere Seelen und die Welt der Wesenheiten gespannt, uns vor Verlangen schmachten läßt,  den nahtlosen Schleier der Phänomene zu durchstoßen.
Gesegnet seist du, tödliche Materie, du, die du uns, eines Tages in uns zerfallend, mit Gewalt in das Herz selbst dessen einführen wirdt, was ist.
Ohne dich Materie, ohne deine Angriffe, ohne dein Herausreißen würden wir träge, stillstehend, kindisch, unwissend um uns selbst und um Gott dahinleben. Du schägst und du verbindest – du widerstehst und du beugst dich – du stürzest um und du baust auf – du verkettest und du befreist.
Saft unserer Seelen, Hand Gottes, Fleisch Christi, Materie ich segne dich.
Ich grüße dich, nicht so, wie dich die hohen Herren der Wissenschaft und die Tugendprediger verkürzt oder entstellt beschreiben. Eine Zusammenhäufung, so sagen sie, brutaler Kräfte oder niedriger Neigungen – sondern so, wie du uns heute erscheinst, in deiner Totalität und in deiner Wahrheit.
Ich grüße dich, unerschöpfliche Fähigkeit des Seins und der Transformation, in der die erwählte Substanz keimt und wächst.
Ich grüße dich, universelle Potenz der Annäherung und Vereinigung, durch die sich die Menge der Monaden verbindet und in der sie alle auf der Strasse des Geistes konvergieren.
Ich grüße dich, mit schöpferischer Kraft geladenes, göttliches Milieu, vom Geist bewegter Ozean, von dem inkarnierten Wort gekneteter und beseelter Ton. – In dem Glauben, deinem unwiderstehlichen Ruf zu gehorchen, stürzen sich die Menschen häufig aus Liebe zu dir in den äußeren Abgrund egoistischen Genießens. – Ein Widerschein täuscht sie, oder ein Echo. Das sehe ich jetzt.
Um dich Materie, zu erreichen, müssen wir im Ausgang von einem universellen Kontakt mit allem, das sich hier unten regt, nach und nach spüren, wie zwischen unseren Händen die besonderen Formen von all dem, was wir halten, verschwinden, bis wir nur noch im Ringen mit der einzigen Wesenheit aller Konsistenzen und aller Vereinigungen bleiben.
Wir müssen, wenn wir dich haben wollen, dich im Schmerz sublimieren, nachdem wir dich wolllüstig in unsere Arme genommen haben. Du herschest, Materie, in den erhabenen Höhen, wo die Heiligen glauben, dir auszuweichen – so durchsichtiges und so bewegliches Fleisch, dass wir dich nicht mehr von einem Geist unterscheiden.
Trage mich dorthin empor, Materie, durch das Bemühen, die Trennung und den Tod – trage mich dorthin, wo es endlich möglich sein wird, das Universum keusch zu umarmen.
Aus Lobgesang des Alls (1919)Die Messe über die Welt 
(geschrieben auf einer wissenschaftlichen Expedition in der Wüste Ordos, 1923)
1. Die Opferung   (Anfang)
Herr, da ich wieder einmal nicht in den Wälder der Aisne, sondern in der Steppe Asiens, weder Brot noch Wein, noch Altar habe, will ich mich über die Symbole bis zur reinen Majestät des Wirklichen erheben und Dir, als Dein Priester, auf dem Altar der ganzen Erde die Arbeit und die Mühsal der Welt darbringen.
Die Sonne erhellt gerade dort hinten den äussersten Zipfel der ersten Aufgangs. Wieder einmal erwacht in dem sich bewegenden Feld ihrer Lichter die lebende Oberfläche der Erde, sie erzittern und beginnt ihre erschreckende Mühe.
Ich lege auf meine Patene, mein Gott, die erwartete Ernte dieses neuen Bemühens. Ich gieße in meinen Kelch den Saft all der Früchte, die heute zermalmt werden. Meine Kelch und meine Patene sind die Tiefen einer Seele, die allen Kräften weit geöffnet ist, die in einem Augenblick sich von allen Punkten des Erdballs erheben und zum Geist konvergieren werden. – Kommt also zu mir, Erinnerung und mystische Gegenwart derer, die das Licht zu einem neuen Tag erweckt!———
(Ende von 1.)
Empfange Herr diese totale Hostie, die die von deiner Anziehung bewegte Schöpfung Dir im neuen Sonnenaufgang darbietet. Dieses Brot unseres Mühens, ist aus sich selbst, ich weiß es, nur ein unermeßlicher Zerfall. Dieser Wein, unser Schmerz, ist erst, leider, nur ein auflösender Trank. Doch in der Tiefe dieser unförmigen Masse hast Du – dessen bin ich mir sicher, weil ich es fühle – ein unwiderstehliches und heiligendes Verlangen gelegt, das uns alle, vom Ungläubigen bis zum Gläubigen, schreien läßt: „Herr mache uns eins“
Weil Du, mein Gott, mir mangels des spirituellen Eifers und der sublimen Reinheit Deiner Heiligen eine unwiderstehliche Zuneigung zu allem gegeben hast, was sich in der dunklen Materie bewegt – weil ich unheilbar in mir stärker als ein Kind des Himmels einen Sohn der Erde erkenne -, werde ich heute morgen in Gedanken zu den hohen Orten emposteigen, beladen mit der Hoffnung und dem Elend meiner Mutter; und dort – in der Kraft eines Priestertums, das du allein, so glaube ich, mir gegeben hast – werde ich auf alles, was im menschlichen Fleisch sich unter der aufgehenden Sonne zu entstehen oder zu vergehen anschickt, das Feuer herabrufen.

„Hymne an das ewig Weibliche“ von Teilhard de Chardin
Ich bin erschienen von Anbeginn der Welt.
Alles im Universum ist Werk der Vereinigung und Befruchtung – geschieht durch Sammlung der Elemente, die sich suchen und zu zweit miteinander verschmelzen und so wiedergeboren werden in einem Dritten (…). Ich bin das verbindende Antlitz alles Seienden – ich bin der Wohlgeruch, der sie in Freiheit und Leidenschaft auf den Weg zu ihrer Vereinigung lockt und an sich zieht. Durch mich gerät alles in Bewegung und in Beziehung. Ich bin das wesenhaft Weibliche. Im Leben habe ich begonnen, mich zu offenbaren.

Wenn ein Mann eine Frau liebt, hat er zunächst die Vorstellung, er wende sich einem Einzelwesen zu, wie er selbst eines ist, einem Wesen, das er umgreift, so gut er es vermag, und das er frei sich zugesellt.
Während er mein Antlitz mit einem Nimbus umgibt, entdeckt er ein Strahlen, das sein Herz empfänglich macht und alle Dinge zum Leuchten bringt.
Dieses Strahlen meines Wesens schreibt er einer subjektiven Stimmung seines entzückten Geistes zu oder einem bloßen Reflex meiner Schönheit auf die tausend Facetten der Natur. Bald jedoch erstaunt er über das Ungetüm, das bei meinem Nahen in ihm aufbricht, und er zittert bei der Feststellung, daß er sich nur mit mir vereinen kann, wenn er sich zwangsläufig als Diener eines universellen Werkes der Schöpfung ergreifen läßt.
Er dachte, neben mir nur eine Gefährtin zu finden: doch wird er gewahr, daß er in mir die große geheimnisvolle Macht, die geheimnisvolle Verborgenheit berührt, die ihn unter dieser Gestalt ereilt, um ihn mit sich zu reißen.

Wer mich gefunden hat, steht am Eingang aller Dinge. (…) ich bin der Zauber der universellen Gegenwart und ihr vielgesichtiges Lächeln.
Ich bin der Zutritt zum Herzen der ganzen Schöpfung – das Tor zur Erde -die Initiation.(…)Wer mich nimmt, gibt sich mir hin, und er wird vom Universum ergriffen. (…)
Als er begriffen hat, daß ich für ihn das All war, hat er geglaubt, er könnte mich in seinen Armen umschließen.
Er hat sich mit mir in einer geschlossenen Welt zu zweit einschließen wollen, wo wir uns genügen würden (…)
Genau in diesem Augenblick bin ich in seinen Händen zerflossen (…)und es hat den An­schein erwecken können, als sei ich die Verderbnis der Menschheit – die Versuchung (.)
Von dem Augenblick an also, da ihr versucht mich festzuhalten und mich unter einer völlig fertigen Gestalt zu besitzen, erstickt ihr mich (…)
Ihr verderbt mich, ihr kehrt mein Wesen planmäßig um (…)
Ich verführe aber zum Lichte hin. Ich reiße mit fort, aber in die Freiheit (…) ich bin die unverwelkliche Schönheit der zukünftigen Zeiten, das weibliche Ideal.
(19. – 25. März 1918 in Verzy)

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