Das Anthropozän als Herausforderung für die Menschheit Bericht von der Jahrestagung des AK Naturwissenschaft und Glaube im hessischen Kloster Salmünster
Noch nie in der Geschichte hatte der
Mensch die Erde so im Griff. Überall hinterlässt er seine Spuren. Künftige
Generationen werden es in den Sedimenten ablesen können – wenn es dann noch
künftige Generationen gibt. Denn die Menschheit ist im Begriff, sich abzuschaffen. Ungebremst laufen derzeit alle ökologischen
Trends auf eine Situation zu, die nicht mehr beherrschbar scheint.
Verschmutzung, Klimawandel, Artensterben sind die nicht wegdiskutierbaren
Anzeichen der drohenden Katastrophe.
Wie kam es dazu, dass das Erdzeitalter,
in dem wir seit wenigen Generationen leben, den Name „Anthropozän“ erhielt? Darüber
referierte der AK-Leiter Dr. Gerd
Weckwerth. Während er am MPI für Chemie in Mainz promovierte, war der Atmosphärenchemiker und spätere Nobelpreisträger, Paul Crutzen,
einer der Direktoren. Dieser hat Anfang 2000 als erster darauf hingewiesen,
dass das wichtigste Kennzeichen der bisherigen Erdepoche Holozän, die hohe Klimakonstanz, durch den Menschen unübersehbar im
20. Jahrhundert beendet wurde und daher stattdessen vom „Anthropozän“
gesprochen werden sollte.
Weckwerth zeigte, wie man die Anzeichen
für neue Erdzeitalter anhand von geochemischen Veränderungen in geeigneten Sedimentgesteinen
auffinden kann. Als ein Beispiel nannte er die Kreide-Tertiär (KT)-Grenze, von
der er Ende 2018 an neuen Proben aus Berchtesgaden selbst Analysen durchgeführt
hat. Diese konnten wie Iridium-Messungen von anderen KT-Aufschlüssen zuvor belegen,
dass für die damaligen hohen Aussterberaten (u.a. Dinosaurier) und den
folgenden Wechsel zur Erdneuzeit ein bekannter großer Meteoriteneinschlag (vor
Mexiko) verantwortlich war.
Er zeigte aber auch Messungen aus See-Sedimenten
des 20. Jahrhunderts, an denen er den Anstieg von Schwermetallbelastungen bis
1970 und den anschließenden Rückgang bis 1985 um bis zu zwei Größenordnungen
durch Emissionsbeschränkungen der Industrie dokumentieren konnte. Für die dazu
nötigen Altersbestimmungen nutzte er dabei u.a. Markierungen mit dem
Spaltisotop 137Cs, das durch weltweite Atomwaffenversuche 1963 und den
Tschernobyl-GAU 1986 freigesetzt wurde. Der dramatische Rückgang solcher
Schwermetallbelastungen ähnlich wie die Abnahme des Ozonlochs aufgrund des weltweiten
Verbots von FCKWs (deren schädigende Wirkung u.a. Paul Crutzen erforscht hat)
zeigen, dass weltweit Überhand nehmende Risiken durch gezielte Gegenmaßnahmen durchaus
gestoppt werden können.
Wie die Natur sich auf längere Sicht auch
selbst helfen kann, zeigte der zweite Vortrag von BB Dr. Norbert Luschka, der sich als Biologe mit der Artenvielfalt vor
allem von Pilzen beschäftigt hat. Einschneidende Ereignisse, die zu großen
Veränderungen von Umweltbedingungen und hohen Aussterberaten geführt haben
(Faunenschnitte), konnten von der Natur „weggesteckt“ werden. Im Falle
regionaler Ereignisse sind die Arten anschließend umso stärker in das
Zerstörungsgebiet wieder eingewandert. Die Arten können sich vor allem bei
globalen Umweltveränderungen anpassen.
Das belegt vor allem das erste große
Massenaussterben, das schon bei primitiven Einzellern vor 2.5 Milliarden Jahren
auftrat. Grund dafür war die hohe toxische Wirkung des freien molekularen
Sauerstoffs auf das frühe Leben. Dieser war damals bei der beginnenden oxygenen
Photosynthese als Abfallprodukt entstanden. Während sogenannte obligate
Anaerobier bis heute saustoffhaltige Umgebungen meiden, haben andere Einzeller
die Sauerstoffatmung entwickelt. Sie bildete die Basis der sogenannten
Kambrium-Explosion früher Mehrzeller, nachdem der Sauerstoff noch einmal auf
bis zu 10% zugenommen hatte.
Nach einer Betrachtung historischer
Massenaussterbeereignissen kam Luschka auf den im Mai
von der UN vorgelegten ersten Bericht zum
globalen Zustand der Artenvielfalt zu sprechen. Darin zeichnet der
Weltbiodiversitätsrat (IPBES) ein dramatisches Bild: Von den geschätzt 8
Millionen Tier- und Pflanzenarten weltweit sei rund eine Million vom Aussterben
bedroht. Das Ausmaß des Artensterbens sei in der Geschichte der Menschheit noch
nie so groß wie heute gewesen – und die Aussterberate nehme weiter zu. Drei
Viertel der Naturräume auf den Kontinenten seien vom Menschen schon erheblich
verändert worden, in den Meeren bereits zwei Drittel.
Im Programm der Tagung waren anschließend
Arbeitsgruppen vorgesehen, die sich neben der Klärung von Fragen aus den
Vorträgen mit den Möglichkeiten befassten, was sich den dramatischen Trends des
Anthropozäns entgegensetzen lässt. Dabei ging es vor allem um Maßnahmen im
Verhalten des einzelnen Menschen, die zur Umlenkung der Trends beitragen können,
aber auch um veränderte politische und rechtliche Rahmenbedingungen. Neben
Vermeidung von Plastikmüll standen dabei Änderungen im Mobilitäts- und
Konsumverhalten besonders zur Diskussion. Eine Gruppe befasste sich mit der
Enzyklika „Laudato Si´““, die Papst Franziskus 2015 vorgelegt hat. Ihre
positive Wirkung hob auch der prominente Referent desNachmittags, Prof.Ernst-Ulrich von Weizsäcker, besonders hervor. Er begann seinen Vortrag mit vielen in den letzten
70 Jahren weltweit stark ansteigenden, anthropogenen Trends, die u.a. zur Verdrängung und zum
dramatischen Rückgang der Wildtiere geführt haben. Betrachtet man das Körpergewicht, so
machen diese ähnlich wie in
Deutschland nur noch 3% der Lebewesen aus, während der Mensch (30%) und dessen Nutztiere (67%) deutlich überwiegen.
Die Risiken entstehen für Weizsäcker vor allem
dadurch, dass wir inzwischen in einer „vollen Welt“ leben, während die Pläne
unseres Handelns immer noch aus der Zeit einer nahezu leeren Welt stammen. Dazu
gehören vor allem Konzepte aus der Zeit der europäischen Aufklärung wie das der
unabhängigen Nationalstaaten und der kolonialen Ausbeutungs- und Raubbau-Ökonomie.
Diese wurden noch genährt durch Vorstellungen antiker Kulturen und Religionen vom
Wachsen und Mehren oder gar sich die Erde untertan zu machen. In der „vollen
Welt“ seien dagegen neue Konzepte nötig, wie Schutzzonen, Fangquoten oder
Umgangsverbote, um diese Welt zu erhalten.
Als Antwort auf die schon 1972 vom
Club of Rome vorgestellten „Grenzen des Wachstums“ galten zuletzt u.a. die von
der UNO im Jahr 2015 vorgelegten 17 Ziele für nachhaltige Entwicklung (Sus-tainable
Development Goals). Da 11 dieser Ziele massive Wachstumsimperative beinhalten, müsse man sogar diese Nachhaltigkeitsagenda der
UNO als nicht nachhaltig
einstufen. Weizsäcker zog daraus den
Schluss, dass das Anthropozän bisher
der Inbegriff der Nicht-Nachhaltigkeit sei!
Er sei natürlich auch froh über das Klimaabkommen von Paris. Die Politik sehe
aber nur, dass das Erreichen der Klimaziele sehr teuer wird und glaube, dies
wieder durch noch mehr Wachstum anbahnen zu müssen. Das sei eine falsche
Antwort, vor allem für rund eine Milliarde Menschen, die am Meer wohnen, davon ~800 Millionen allein in
Asien. „Wenn die durch steigenden Meeresspiegel (wegen
des Abschmelzens der Eisschilde Grönlands und der Antarktis) auf einmal zu
Flüchtlingen werden, haben wir ein Problem tausendmal größer als im Jahr 2015!“-
„In der Diagnose gut, aber in der Therapie komplette Versager!“ so sieht
Weizsäcker bisherige Versuche gemeinsamer Gegenmaßnahmen. Er sieht die
Weltgemeinschaft daher nicht nur in politischen Problemen, sondern vor allem in
einer philosophischen Krise – und im Volk höre man lieber auf Populisten, statt
der Wahrheit ins Auge zu schauen.
Hinzu kommt, dass die Dynamik immer stärker in den Entwicklungsländern
liegt. Obwohl Bevölkerungszunahme deren Wirtschaftsentwicklung schwächt, sind in
diesen Ländern die höchsten Ausbauraten an Kohlekraftwerken zu verzeichnen. Von
1380 neuen Kohlekraftwerken in Planung oder Bau sind über 1200 in
Entwicklungsländern. Daher ist Klimapolitik nur mit Industrieländern weitgehend
sinnlos. In einer „neuen Aufklärung“ wird Balance zum wichtigen Prinzip, z.B. zwischen Mensch und Natur, Kurzfrist und Langfrist, Staat und Markt, Gerechtigkeit und Leistungsanreiz, Staat und
Religion, Innovation und Bewährtem.
Weizsäcker hält daher auch einen ausgleichenden „Budget-Ansatz“, bei dem die
Industrieländer radikal die kapitalbezogenen CO2-Emissionen kürzen,
die Schwellenländer deutlich weniger und die Entwicklungsländer bis etwa 2040
noch leicht steigen dürfen, für die vielleicht einzige machbare Politikoption.
Statt dem heutigen
brutalen Wettbewerb um Innovationsgeschwindigkeit bräuchten wir neben Regulierung
der Finanzmärkte einen Ausgleich vor allem zwischen Innovation und Bewährtem, sowie zwischen Mensch
und Natur, um Nachhaltigkeit zu erreichen. Systemtheoretisch gesehen, fehle es dem
heutigen Markt vor allem an negativen Rückkoppelungsmechanismen, mit denen bspw.
die Biologie selbstmörderische Ausschläge verhindert. Auf diesem Prinzip
basieren daher viele Vorschläge für den internationalen Kapitalmarkt wie z.B. die
Kapitaltransaktionssteuer oder Eurobonds zur Vermeidung von Spekulation gegen
schwache Euro-Länder. Dazu gehöre auch der Vorschlag,
die CO2- und Rohstoffpreise mindestens parallel zu den Effizienzgewinnen
zu verteuern.
Der von Weizsäcker für den Club of Rome mitverfasste Bericht „Wir sind dran“ enthält neben diesen Aspekten zu einer neuen Aufklärung und der Weltwirtschaft aber auch viele Vorschläge, die sich kurzfristiger und regionaler durch persönliches Handeln verwirklichen lassen, wie z.B. ein Umsteuern zu mehr Nachhaltigkeit in der Landwirtschaft, mehr Energieeffizienz beim Hausbau und einen bescheideneren Lebensstil. Dennoch war es ihm wichtig, am Ende deutlich zu machen, dass Nachhaltigkeit sich nicht im gut gemeinten Appell, fleischlos zu essen oder weniger zu fliegen, erschöpfen darf, sondern nur auf der Systemebene der Politik wirksam umsetzbar ist.