von Christian Kummer

(1) Man muss nicht erst bis auf die Kodizes einer verflossenen Schultheologie zurückgehen, die nun zu Recht in den Magazinen der Seminarbibliotheken verstauben, um den Horror vor jener Art rationalistischer Theologie aufleben zu lassen, welche so kennzeichnend für die katholische Glaubenslehre (offizieller Provenienz) ist. Die jüngst so sehr beschworene Einheit von Glaube und Vernunft kam dort v.a. darin zum Ausdruck, dass man versuchte, biblische Aussagen ihren heterogenen Kontexten zum Trotz in ein monolithisches Denksystem zu zwängen. Die Berechtigung für dieses Verfahren bezog man aus der Überzeugung, dass die Sätze der Heiligen Schrift den „Heiligen Geist zum Hauptautor“ [sic!] haben, so noch der Katechismus der katholischen Kirche von 1993 unter Nr. 304. Mit dieser Art von fundamentalistisch anmutender Verbalinspiriration hat die moderne Exegese inzwischen auch katholischerseits stark aufgeräumt und ihren eigenen „Segen“ (sicher nicht nur einen solchen) in die Theologie hinein getragen. Insofern bräuchten wir hierfür nicht mehr die Evolution zu bemühen, eine sachgerechte Hermeneutik biblischer Aussagen leistete das auch. Aber von dieser exegetischen Kleinarbeit ist bisher nicht allzu viel in die Köpfe höherer Chargen des kirchlichen Lehrmats gelangt. Selbst das viel beachtete Jesus-Buch unseres jetzigen Papstes ist ein Beispiel dafür, wenn man die Rezensionen selbst wohlmeinender Exegeten als Beleg dafür nehmen darf, die allesamt ihre Vorbehalte gegen die methodologische Qualität der darin anzutreffenden Bibelauslegung haben. Der Stein des Anstoßes besteht kurz in der Auffassung, dass das Lehramt über die Richtigkeit exegetischer Inhalte zu befinden hat und nicht umgekehrt die Exegese über jene des Lehramts.

(2) Es soll uns aber gar nicht um die (zu wohlfeile) Auseinandersetzung mit einer Tradition und ihren Belastungen von gestern gehen, sondern um ein modernes Beispiel, das diese Art von Theologie wieder handgreiflich werden lässt und zeigt, wie wenig sie und der damit verbundene Machtanspruch in gewissen hierarchischen Kreisen überwunden ist. Ich meine Kardinal Schönborns unseligen Artikel in der New York Times vom 7.7.2005 (ein Datum, das sich einem fast so einprägt wie das des Ground Zero vom 11.9.2001): “Finding Design in Nature” (dt. „Den Plan in der Natur entdecken“). Er hat für genügend Wirbel gesorgt, aber es wäre falsch, ihn als persönliche Meinung eines Außenseiters einzustufen. Er ist m.E. vielmehr der Ausdruck einer ganz bestimmten Art von römischer Politik, der ein Dorn im Auge war, dass aus einem einzigen Satz eines Papstes, Johannes Paul II, zu viel Kapital in ungewünschter Münze geschlagen wurde. Dieser Satz ist bekanntlich, dass die Evolution „mehr als eine Hypothese“ sei. Das vollständige „Bekenntnis“ liest sich im wörtlichen Zusammenhang so: Heute, beinahe ein halbes Jahrhundert nach dem Erscheinen der Enzyklika [gemeint ist Humani generis von Pius XII aus dem Jahr 1950], geben neue Erkenntnisse dazu Anlass, in der Evolutionstheorie mehr als eine Hypothese zu sehen. Es ist in der Tat bemerkenswert, dass diese Theorie nach einer Reihe von Entdeckungen in unterschiedlichen Wissensgebieten immer mehr von der Forschung akzeptiert wurde. Ein solches unbeabsichtigtes und nicht gesteuertes Übereinstimmen von Forschungsergebnissen stellt schon an sich ein bedeutsames Argument zugunsten dieser Theorien dar. Interessanterweise findet sich diese Ansprache JPs II, gehalten an die Mitglieder der Päpstlichen Akademie der Wissenschaften anlässlich ihrer Vollversammlung am 22. Oktober 1996, nicht im Archiv der Homepage der „Santa Sede“ (oder sie ist dort so gut versteckt, dass ich sie trotz mehrmaliger Recherche nicht entdecken konnte), obwohl dort sonst jede Äußerung aus päpstlichem Mund konserviert wird. Sie muss darum von anderen, weniger offiziellen Stellen im Netz bezogen werden. (Auch das Archiv des Osservatore Romano, wo die Rede ja abgedruckt war, ist alles andere als benutzerfreundlich und erlaubt online keinen Zugang.) Zwei Dinge störten den Kardinal und, wie sich an verschiedenen Dokumenten festmachen lässt, seinen Vorgesetzten am Kolportieren dieser freimütigen Botschaft. Die Unterstellung, die katholische Kirche würde die Evolutionstheorie nunmehr offiziell uneingeschränkt bejahen. Darum die Unterscheidung in seinem Artikel: „Die Evolution im Sinn einer gemeinsamen Abstammung (aller Lebewesen) kann wahr sein, aber die Evolution im neodarwinistischen Sinn – ein zielloser, ungeplanter Vorgang zufälliger Veränderung und natürlicher Selektion – ist es nicht.“ Dieses Statement Schönborns fordert zur Gegenfrage heraus: Welche andere ‘Evolution’ neben der von Darwin erklärten sollte es denn geben? – Und: Woher nimmt ein Theologe die Autorität, darüber zu befinden, ob eine naturwissenschaftliche Theorie richtig oder falsch ist? Dass übersehen wird, dass die Kirche auch weiterhin (und auch Johannes Paul II, da ist Schönborn durchaus Recht zu geben) an der unmittelbaren Erschaffung der menschlichen Seele durch Gott festhält und hier der Gültigkeit der Evolutionstheorie auch auf empirischer Ebene eine Grenze setzt. Auch hierzu gleich eine Anmerkung. Die Erschaffung der menschlichen Seele ist eine theologische Aussage und damit muss das, was hier unter ‘Seele’ verstanden wird, auch theologisch gedeutet werden im Sinne einer unmittelbaren, besonderen Bezogenheit des menschlichen Geschöpfs auf Gott, d.h. seine theologisch interpretierte Personalität. ‘Seele’ bezeichnet aber auch etwas Diesseitig- Empirisches: seelisches Empfinden, Psyche, Geistigkeit des Menschen und dgl. Diese Ebene wird von der theologischen Aussage (aufgrund der Doppeldeutigkeit des Begriffs) vereinnahmt und damit behauptet, der Mensch sei ohne Theologie nicht vollständig zu erklären. Wie konfliktgeladen die Vermischung dieser Ebenen ist, die aus unterschiedlichen Perspektiven, die sich zu ergänzen hätten, eine Addition verschiedener Bestandteile macht, zeigt der Blick auf die ontogenetische Entstehung des Menschen. Karl Rahner hat das in drastischer Weise dargestellt. Nach klassischer Lehre würden die Eltern einen Affen erzeugen, der erst durch einen eigenen göttlichen Eingriff zum Menschen wird. Die Beseelung auf den Moment der Befruchtung zu verlegen, macht die Dissoziation zwar zeitlich weniger auffällig, ändert aber nichts am Prinzip. Was, so müsste man fragen, ist eine menschliche Eizelle im Vorkernstadium? – Nur eine Gleichzeitigkeit des schöpferischen Wirkens auf zwei verschiedenen Ursachen-Ebenen, einer göttlichen und einer menschlichen, wie sie K. Rahner vorgeschlagen hat, kann das Dilemma lösen. Hinter dem hier zum Vorschein kommenden Machtanspruch auf Deutungshoheit der menschlichen Natur steckt weniger Aggressivität als Angst. Schönborn meint, eine Auslieferung an den „Neodarwinismus“, wie er bezeichnenderweise die moderne synthetische Evolutionstheorie nennt, wäre gleichbedeutend mit dem Verzicht, die Welt als einen Ort göttlicher Weisheit und Zielsetzung zu begreifen. Hier zeigt sich eine z.Z. in allen päpstlichen Verlautbarungen nachweisbare Angst vor der Freiheit der aufgeklärten Vernunft. Wenn sich der Mensch zum Maß aller Dinge macht, so die Vermutung oder besser das Misstrauen, gerät seine Selbsteinschätzung außer Kontrolle; er verliert jede Orientierung für sein Handeln und macht, was er kann, statt, was er soll. Nur durch den Glauben könne das Licht der menschlichen Vernunft auf ein für ihn selbst erträgliches Maß herunter gedimmt werden, das ihn vor Verblendung bewahrt. Dem kann man durchaus etwas abgewinnen; es fragt sich nur, auf welche Weise diese Korrektur geschehen soll: durch Anlegen von Scheuklappen oder durch Aufzeigen einer eigenen alternativen Vision. Rom scheint z.Z. (oder immer noch) auf Gängelung mehr zu setzen als auf freie Entscheidung.

(3) Wie befreiend ist einer solchen Geisteshaltung gegenüber die Vision eines Teilhard de Chardin (1881-1955)! Wenn ich mich im Folgenden auf ihn beziehe, dann nicht, weil ich mit seiner Vision in allem einverstanden wäre, sondern, weil seine Person zunehmend in Vergessenheit zu geraten droht und dabei gerade heute wichtig wäre, um einer mehr und mehr sich verbarrikadierenden Kirche – wie auch der ‘Welt’, vor der sie Angst hat – zu zeigen, wie katholische Weite [gr.: kath’ holon] aussehen könnte. Der schwäbische Maler-Pfarrer Sieger Köder hat das in eines seiner Hl.-Geist-Glasfenster (in Ellwangen/Jagst) eingefangen, das an das Wort Johannes XXIII. vom Aufmachen der Fenster im Vatikan erinnert. Aus dieser Weite heraus hat Teilhard die Evolutionstheorie Darwins assimiliert. Nicht in Auseinandersetzung und stückweisem Feilschen, wie viele Anteile der Schöpfungsaktie an die Naturwissenschaften abgetreten werden können und und wie viele sich die Theologie selbst vorbehalten muss. Nein, als vollständige, ja bedenkenlose Übernahme, und damit als die Dimension, in der das ganze materielle Sein, das anorganische wie das organische, gedacht werden muss, und in der dementsprechend auch Schöpfung zu deuten ist. „La conscience d’une Dérive profonde, ontologique, totale d’une univers autour de moi“ heißt es dafür in seiner autobiographischen Schrift „Le coeur de la matière“ (Ed. Seuil XIII, 33). Was im Bild des Wortes ‘dérive’ (Strömung, Drift) mitschwingt, ist nicht leicht zu übersetzen: das Kontinuierliche, Unaufhörliche, dessen Kraft man kaum merklich ständig ausgesetzt ist wie dem Abdriften mit dem Sog der Ebbe auf einem scheinbar ruhigen Meer. Eine solche „allgegenwärtige Drift“ des Universums ist für Teilhard die Evolution, und sie ist „ontologisch“, ein Attribut des Seins wie die klassischen Transzendentalien des Wahren, Einen und Guten. Erst vor diesem Hintergrund wird die Formel „Schöpfung durch Evolution“ mehr als ein billiges Versöhnungsangebot, das beiden Seiten, der Schöpfung und der Evolution, zu ihrem Recht verhelfen möchte. Schöpfung geschieht ‘durch’ Evolution – nicht ‘statt’ und nicht ‘neben’ ihr.

(4) Was macht ein Schöpfer, der durch Evolution schafft? Er macht keine Dinge, sondern er macht, dass „die Dinge sich machen“. Dieses „Dieu faisant se faire les choses“ aus der kleinen Schrift „Que faut-il penser du transformisme“ von 1930 (Ed. Seuil III, 217) ist eine weitere wirkmächtige und fruchtbare Formel Teilhards. Was beinhaltet sie? Dass Gottes Schöpfertätigkeit von anderer Art ist als das Tun eines Handwerkers. Seine Ursächlichkeit ist auf einer anderen Ebene als die der innerweltlichen Kausalketten. Er ermöglicht die Dinge, aber dirigiert sie nicht, noch bastelt er sie zusammen. Die Dinge machen sich selber. Es ist wirklich die Aktivität der Dinge, die sie werden lässt. Das bedeutet ein Ernstnehmen der Eigenständigkeit des empirischen Kausalnexus, der auch dort vorhanden sein muss, wo wir ihn noch nicht aufgedeckt haben. Schöpfung ist kein Ersatz für Wirkursachen. Das ist gerade für die Biologie im Hinblick auf die großen weißen Flecken der Biogenese und der Entstehung des Mentalen wichtig. Die Eigenständigkeit der Geschöpfe ist mehr als nur eine Anerkennung der diesseitigen, materiellen Kausalität. Machen, dass die Dinge sich machen, ermöglichende Ursache sein heißt auch, den Dinge die Fähigkeit, das Vermögen zu verleihen, mehr zu werden als sie aus sich heraus sind. Nicht nur Verleihung von Sein durch Teilhabe, sondern von Seinszuwachs! Gott schafft keine Kreaturen, sondern er verleiht Kreativität. Und dazu ist es nötig, dass er den Dingen zuinnerst ist (auch eine klassische Schöpfungsaussage, die gern vernachlässigt wird!). Er ist nicht nur der lockere Chef, der sagt, die können das schon von alleine, und dann verschwindet, sondern der bei aller Liberalität Anteil nehmende Chef, der trotz aller Freiheit, die er lässt, interessiert ist an allem, was geschieht, es fördert und bestärkt. Die Dinge können wirklich ihre Grenzen übersteigen (‘Selbsttranszendenz’), weil Gott mit seinem fördernden Wohlwollen in ihnen ist (‘Selbstmitteilung’) Die psychologische Analogie (wie sehr jemand bei entsprechender Ermutigung und Rückenstärkung seinen Schatten zu überspringen vermag) ist nicht die schlechteste, um diese Schöpfungsformel (Kreativität verleihen statt Kreaturen zu schaffen) zu verdeutlichen. Dieses Schaffen durch Selbstmitteilung bedeutet auch etwas für die Seinsweise des Schöpfers. Er ist eben nicht ‘fern’, ‘weggegangen’, in seinem Himmel, sondern er ist gegenwärtig, überall und in allem. „Gott ist ständig – ganz – verschenkt.“ Das ist seine Daseinsweise in dieser Welt. Nicht nur gelegentlich und ein wenig, sondern ständig und ganz. Der ganze Gott ist in einer Amsel und in mir. (Die Frage ist also nicht, wie viel Gott von sich hergibt, sondern, auf welche Weise das Geschöpf diesen Gott aufnehmen kann – oder, in unserm Fall, will). Aber doch auch nicht Selbstaufgabe, sondern Souveränität: ‘verschenkt’. Schenken setzt Freiheit und Selbstbesitz voraus. Dass Gott in den Dingen ist, bedeutet dann auch etwas für unser Gott-Suchen. „Ihr Männer von Galiläa, was starrt ihr zum Himmel“, heißt es in der Himmelfahrtsszene der Apg. Nicht in einem zentrifugalen, weltverachtenden Jenseitsverlangen findest du diesen Gott, sondern in den Geschöpfen, in dir! Das ist die Weisheit aller Mystiker, der komtemplativen („schau, dein Himmel ist in mir“, Angelus Silesius) wie der aktiven („Gott finden in allen Dingen“, Ignatius von Loyola), vermutlich der nichtchristlichen genauso wie der christlichen. Du musst Gott in dir zulassen, dich von ihm ermöglichen lassen, ganz, dann bist du „im Himmel“. Der Tod ist dazu die anscheinend unausweichliche Voraussetzung, um das Schwerfällige, die volle Verwirklichung unserer Möglichkeiten Behindernde, das mit unserer materiellen Individualität (auch) gegeben ist, zu überwinden.

(5) So könnte eine Theologie, die Evolution ernst nimmt in Ansätzen und Stichworten aussehen. Ich hoffe, es ist jetzt klarer, warum ich Evolution als einen Segen für die Theologie ansehe und nicht als Bedrohung. Eine solche Theologie ist auch nichts essentiell Neues, sondern steht in Übereinstimmung mit der Bibel. Auch dazu müssen ein paar Hinweise genügen. Natürlich steckt das evolutionäre Denken noch nicht in der Bibel. Es hieße das Weltbild der biblischen Verfasser (und das Wirken des Hl. Geistes, der als „Erstautor“ eben auch nur ermöglicht und nicht diktiert) vergewaltigen, in ihren Texten schon Ansätze von Evolution herauslesen zu wollen. Aber es gibt eine Konsonanz, einen Zusammenklang, der zeigt, dass eine von der Evolution inspirierte Theologie auf dem Boden dessen steht, was wir biblische Offenbarung nennen. Ein eigenes Wort (bārā’) wird in Gen 1,1 dafür verwendet, um das göttliche Schaffen auszudrücken, ein Wort, das exklusiv nur Gott vorbehalten ist und nie für menschliches Schaffen gebraucht wird. Das zeigt doch wohl ein feines Gespür auch schon in der priesterschriftlichen Tradition, dass göttliche Schöpfertätigkeit etwas anderes ist als menschliche Herstellungskunst und darum grundsätzlich von letzterer unterschieden werden muss – auch und gerade, was Wörter wie ‘Plan’ und ‘Design’ betrifft. Gen 2,7: jasăr. Die mythologisch wichtige Gestalt des Töpfers steht bei diesem Wort im Mittelpunkt. Es geht dabei mehr um das Hervorbringen von Gestalt aus dem Stoff, um den Prozess der Kreativität, des Künstlerischen, als um das ‘Verfertigen’ von Produkten. Jer18,5: Das schöne Bild vom immer wieder neuen Entwurf, den der Künstler unternimmt. Es ist moralisch beruhigend für uns, weil es die Zuversicht vermittelt, immer wieder neu anfangen zu dürfen. Es kann aber auch vom entwerfenden Künstler etwas aussagen. Die Idee verwirklicht sich in der Auseinandersetzung mit dem Stoff (vgl. jasăr). In immer wieder neuen Entwürfen versucht der Künstler materiell einzuholen, was in seinem Kopf als ‘Idee’ umgeht, aber noch keine feste Kontur besitzt. Erst an der materiellen Verwirklichung sieht er: das ist es – oder eben noch nicht. Es braucht die Materie, damit die Idee Gestalt annimmt – die materielle Form ist mehr als nur eine Kopie des im Geist schon Vorhandenen. So wie der Künstler die Materie, den Stoff braucht, um seine Idee auszudrücken, braucht Gott die Eigentätigkeit der Geschöpfe, um seinen ‘Schöpfungsplan’ hervorzubringen. Dieser Schöpfungsplan ist nicht schon vor allen Zeiten minutiös festgelegt, sondern nur „auf Einheit hin“. Gott „braucht“ Geschöpfe, um sich an sie zu verschenken und sie dadurch auf den Weg der „schöpferischen Einigung“ mit ihm zu ermächtigen. Die Bedeutung des Materiellen für die Kreativität auf Gott anzuwenden mag ketzerisch sein, vielleicht ist es aber auch nur ungewohnt. Jedenfalls ist es die Vernachlässigung dieses Aspekts, warum mir die gängigen Konzeptionen von Schöpfungstheologie, auch neuerer Provenienz, so unbefriedigend erscheinen. (6) Ein sich selbst ständig ganz an seine Geschöpfe verschenkender Gott kann freilich nicht in derselben „klaren und sicheren“ Weise aus der Vielfalt und Widersprüchlichkeit Eigenziele verfolgender Geschöpfe erschlossen werden, wie einer, der die Natur nach allen Regeln menschlicher Herstellungskunst entwirft, wie das Schönborn im genannten Artikel unisono mit dem Vaticanum I vorschwebt. Es müsste viel eher in einer Weise erfolgen, die der Religionsphilosoph Richard Schaeffler als „Lesen im Buch der Welt“ [Stimmen der Zeit (Juni 2006) 365] vorschlägt: Gott kommt in der Welt genauso wenig vor wie Schiller im Wallenstein – und doch ist jede Zeile von ihm!

Prof. Dr. Christian Kummer SJ
Hochschule für Philosophie
Kaulbachstr. 31a
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